Antje Kröger | Fotokünstlerin

Georgien Jun*2025: Tiflis, Tbilissi, თბილისი (Teil I)

Posted by on Juli 27 2025, in Mensch, Welt

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Das mit Georgien war ein ewiges Hin und Her. Es hat nie richtig gepasst. Mein Leben war so voll mit seiner Organisation, mein Konto war so leer. Meine Kraft war so alle. Und auf einmal ging es doch ganz schnell: Zwei Menschen fragte ich nach ihrer Meinung – Menschen, denen ich eine gute Antje-Kenntnis zutraute. Ich war nicht überrascht – über die Großzügigkeit ihrer Gedanken und auch über die (nicht)Zweifel, die an meinem Vorhaben geäußert wurden. Flüge gebucht, eine Woche später bereits unterwegs gewesen. Denn die Zuversicht dieser Menschen ließ meine Kräfte wieder groß werden. Zehn Tage Georgien: Tbilisi und Batumi und all die Fahrten dazwischen.

Georgien war überhitzt, regnerisch, autovoll, blühend, gesprächsbereit, gastfreundlich, konsumgeil, anstrengend, sprachwirrwarrich, straßenköterig, religiös, fruchtig-süß, lichtdurchflutet, hügelig, weinreich, laut, dreckig, handykrank, günstig, aromatisch, wolkenverhangen, sowjetisch, fotoaffin, oberflächlich, traditionell, politisch, warmherzig, blau-fleckig, koffeinreich, langweilig, eisig, böse, touristisch, rückständig, ruhelos, prachtvoll, zerfallen, kreativ, poetisch, russisch, kulinarisch und am Ende kränklich. Nur auf zwei Städte hatte ich mich fokussiert: Tbilisi, die Hauptstadt, und Batumi, die Hafenstadt am Schwarzen Meer, knapp zwanzig Kilometer von der türkischen Grenze entfernt. Aber alles schön nacheinander …

22:42 – es ging los.
In Leipzig waren Wave-Gotik-Treffen und Stadtfest. „Der Delfin in meiner Handtasche“ – eine Bühne vor der Oper, es schallte in meine Tram. Das Lied, das ich nur von einem kleinen Menschen in meinem Leben kenne. Dachte gar nicht, dass es dazu auch wirklich Menschen gibt, die das live zum Besten geben und so viele Menschen vor die Bühne locken. Ich hatte aber keine Zeit für schlechte Musik, war auf dem Weg zum Flughafen nach Berlin. Erster Zug nach Lutherstadt Wittenberg. Umstieg, zehn Minuten. Zug nach Berlin. Der Zug fast leer. Zwei Männer and me im gesamten Wagon. Es war übrigens auch Pfingsten. Mittlerweile war es nach Mitternacht. Einer von den Beiden (jünger als ich) war morgens mit dem Fahrrad von Berlin nach Jena gefahren, jetzt Heimweg. Der andere, deutlich älter, ein Unruheständler (Selbstbezeichnung), war in der 25. Stunde seines Unterwegsseins. (O-Ton.) Ein solch inspirierender Mensch. Ich lauschte seinen Worten während der nächtlichen Fahrt. Westberliner, lebend in Reinickendorf. Mit vier Jahren mit dem Bahnvirus angesteckt, damals bekam er vom Großvater, der Eisenbahner war, eine Märklin-Eisenbahn geschenkt. Er studierte etwas mit Transport, arbeitete für verschiedene NGOs. Seitdem das 9-Euro-Ticket eingeführt wurde, ist er unterwegs. Ausschließlich auf der Schiene. Heute (gestern) war er in Stuttgart. Er ist vor allem an den Wochenenden unterwegs. Grund: an diesen gibt es auch Nachtzüge, so kann er „richtig Strecke machen“. Denn übernachten am jeweiligen Ausflugsziel ist nicht. Das gehört zur Challenge dazu. Nur einmal sei er in Braunschweig gestrandet. Da hat er sich am Bahnhof die Nacht um die Ohren schlagen müssen. Als um sechs Uhr morgens der erste Zug Richtung Berlin fuhr, schlief er in diesem sofort ein. Immer dabei hat er einen roten Beutel, gefüllt mit Lesestoff und Verpflegung. Besonders faszinierend: Fast alle regionalen Verbindungen von und nach Berlin in die gesamte Republik hat er im Kopf, der lebende Fahrplan.

Um zwei Uhr morgens (mittlerweile Sonntag) kamen wir am Hauptbahnhof in der Hauptstadt an. Wir drei verabschiedeten uns voneinander, jeder ging seine und ihre Wege. Ich kaufte mir Kaffee, denn ich musste noch eine ganze Weile wach bleiben. Mit dem Kaffee setzte ich mich auf eine Bank, ich bekam völlig unerwartet von einem sehr alten Obdachlosen, der versuchte, auf der Bank gegenüber zu schlafen, ein Vogelhäuschen aus Holz geschenkt, um es, wenn ich wieder zu Hause sein würde, in einen Blumentopf zu stecken. Er schrieb mit Kuli das Datum auf das Holz, überreichte es mir und schlief dann weiter. Bald ging es für mich mit der S-Bahn weiter zum BER. Dort hatte ich noch zwei Stunden Zeit. Die habe ich einfach mit Sitzen, Schauen, Lesen, Podcast-Hören verbracht. Danach: Kofferaufgabe, durch den Security-Check, mit Parfüm einsprühen (wie immer – nach und vor jedem Flug). Das Gate suchen, einsteigen, fliegen.

Dreieinhalb Stunden Flug von Berlin nach Tbilisi. Der Mittelplatz meiner Dreierreihe frei, so konnte ich in Ruhe schlafen. (Ich sitze immer in einer der letzten Reihen, um am Hintereingang ein- und auszusteigen.) Sehr müde war ich. Als wir ankamen in Kutaissi (Georgien), begrüßte mich und die anderen Passagiere eine Wand aus Hitze und Trockenheit. So heiß. Wahnsinn. Dann ging alles sehr schnell: Passkontrolle, Euros tauschen in Georgische Lari, Koffer abholen. Dieser rollte schon übers Band als ich ankam. (Zur Erinnerung: Bei meinem letzten Flug nach Vilnius war nur ich gelandet, mein Gepäck aber leider nicht.) Erste Zufriedenheit. Vor dem Flughafengebäude standen zwei Busse mit der Aufschrift „Tbilisi“. Ich entschied mich für den Doppeldeckerbus. Acht Euro an den Fahrer gezahlt und los Richtung georgische Hauptstadt. (Übrigens, essen ist in diesem Bus verboten, warum auch immer, ich snackte dennoch!) Neben mir saß Niko. Es stellte sich heraus, dass er in Wismar studiert hatte, Master in Logistik. Sein Professor hatte ihn damals aus Tbilisi mit nach Deutschland genommen. Nun lebt er in Stralsund, arbeitet für einen Elektronikmarkt, ist dort ganz glücklich und gerade auf Heimatbesuch. Insgesamt vier Stunden (mit zwei Unterbrechungen) fuhr der Bus. Niko und ich redeten fast die ganze Fahrt miteinander. Er markierte in meinem Handy verschiedene Orte, die er in seiner Heimatstadt liebt. Ich hatte Tipps en masse, auch wenn ich kaum welche davon aktiv suchte.

Apropos Handy: In allen Reiseberichten, die ich über Georgien gelesen hatte, war der erste (!!!) Tipp, sich eine georgische SIM-Karte zuzulegen. Natürlich – keine Sekunde offline sein. Ich empfehle: keine georgische SIM-Karte kaufen, sondern öffentliche WLANs zum Recherchieren benutzen, sich treiben lassen ohne das Telefon, Routen vorher in der Herberge zusammenzustellen. Karten können auch auf dem Handy offline verwendet werden. Denn nur ohne die Krücke „Handy“ wird das Reisen wirklich zu einem Abenteuer, (wenn es dies in unserer durchgetakteten Welt überhaupt noch gibt). Dinge passieren, die man sich so nicht gedacht hatte. Umwege führen zu spannenden Orten. Die ständige vermeintliche Sicherheit durchs Onlinesein werden getauscht gegen Angst, Unsicherheit, Recherche, Nachfragen und vielem mehr.

Georgien. Ein kleines, flussreiches Land. So groß wie Bayern. Es gibt nur 3,5 Millionen Menschen und „irgendwie“ kennen sich alle. Die Georgier haben ihr eigenes Alphabet und eine hübsche weiße Flagge mit fünf roten Kreuzen. 20 Prozent des Staatsgebiets werden derzeit von Russland okkupiert. Georgien liegt geografisch in Vorderasien, ist eine der ältesten christlichen Nationen und wird als die Wiege des Weins betrachtet (davon hatte ich natürlich eine Menge).

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Georgien Jun*2025: Tiflis, Tbilissi, თბილისი

Im Bus war noch ein zweiter Mann, der sich während einer Reisepause als mein Quasi-Nachbar herausstellte. Auch er wohnt im Leipziger Osten. Auch er war auf dem Weg zu seiner georgischen Familie. Ich sagte zu ihm, dass wir uns bestimmt in Leipzig wiedersehen würden. Er lächelte und antwortete: „Sicherlich!“ Nach einer langen Fahrt erreichten wir Tiflis, allerdings nicht am vereinbarten Platz. Niko war bereits am Stadtrand ausgestiegen. Ich war kurz etwas überfordert, lief dann nach meiner Offline-Karte ungefähr drei Kilometer Richtung Altstadt, an einer abendlichen Demonstration vorbei und war komplett zerstört, als ich gegen 23 Uhr in meiner Unterkunft ankam. Fast 24 Stunden wach, mit kleinen Nickerchen zwischendurch. Bett. Sofort.

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Georgien Jun*2025: Tiflis, Tbilissi, თბილისი

Mein erster Tag in Tbilisi

Ich wohne in einem hübschen Zimmer in einem vom Verfall bedrohten Haus in der Altstadt. Das Gebäude trägt den Namen „Siemens-Haus“, da hier einst Herr Siemens gelebt haben soll. Während der fünf Tage, die ich dort weilte, waren häufig Handwerker im Haus und führten Reparaturen durch: an Wasserleitungen, Stromleitungen und anderen Leitungen, die es zuhauf gab. Das störte mich keineswegs. Nur die vielen Autos, tagsüber wie nachts, waren wirklich ein Grauen. All die alten Karren, die in Westeuropa niemand mehr fahren will, sind auf Georgiens Straßen unterwegs. Fürchterlich, laut, stinkend, qualmend. Hinter den meisten Lenkrädern sitzen Macho-Männer, die rasantes Fahren lieben, die gern die Fenster herunterkurbeln, um ihre Musik auch auf die Straße zu verteilen, und die es irgendwie schaffen, selbst in die kleinste Lücke mit ihrem Gefährt zu kriechen.

Ohne Plan, ohne Recherche lief ich durch die Altstadt. Treiben lassen, schauen, um Ecken gehen, Hinterhöfe betreten, Hausflure besichtigen. Dabei erlebte ich viele wunderbare Dinge. Laut Wetterbericht herrschten rund 30 Grad Celsius, doch es fühlte sich nach deutlich mehr an. Ich trank den ganzen Tag über, musste aber kaum zur Toilette, mein Körper hatte offenbar alles ausgeschwitzt.

Was war alles passiert?

Ich traf spannende Menschen. Zum Beispiel eine Großmutter und ihre Enkelin in einem Hinterhof. Dort fotografierte ich ein wenig , es gab ein wunderschönes Spiel aus verschiedenen Rottönen. Eine Alte trat aus ihrem Haus und fragte mich auf Russisch, was ich täte. Ich antwortete auf Englisch, dass ich die Rottöne und das Lichtspiel fotografiere. Sie verschwand wieder im Haus, rief nach ihrer Enkelin. Kurz darauf kam ein junges Mädchen duch die Tür. Es hieß Katja, die Großmutter Lisa. Im Gespräch stellte sich heraus, dass Katjas Bruder in Saarbrücken lebt. Ich erzählte den beiden, dass ich Fotografin bin, und fragte Lisa, ob sie Lust hätte, Teil meines Sujets zu werden. Ihre roten Haare passten perfekt. Sie sagte „ja“. Auch ein kleines Kätzchen kam noch dazu. Schließlich entstanden noch Fotos von Großmutter und Enkelin gemeinsam. Zwischendurch sprachen wir miteinander. Lisa ist Russin, ihre Tochter hatte einen Georgier geheiratet. Katja ist also ein Mix aus Georgien und Russland, wie Lisa sagte. Die sprachliche Situation sei oft schwierig. Sie meinte, es sei gut, wenn Menschen, die nach Georgien reisen, vorher fragen, ob Russisch überhaupt gesprochen werden möchte, das Verhältnis zu Russland sei nämlich weiterhin problematisch. Ich fragte nach den Demonstrationen, die in Tbilisi noch immer täglich stattfinden. Katja sagte, dass sie tatsächlich seit dem vergangenen Jahr ohne Unterbrechung andauern. Die politische Lage sei aus ihrer Sicht jedoch aussichtslos. Bald würde sie wieder zu ihrem Bruder nach Deutschland fahren, sie könne sich auch eine Zukunft dort vorstellen. Ich verabschiedete mich, lief weiter, entdeckte einen kleinen Laden, der frische Erdbeeren anbot, wahrscheinlich aus einem Hinterhofgarten. Eine Wonne. Klein und rot und süß, nicht zu vergleichen mit den Erdbeeren, die wir in Deutschland kaufen können. Anschließend kam ich an einer Bäckerei vorbei, die in einem Keller lag. Ich wurde aus einem kleinen Fenster zu meinen Füßen heraus bedient. Das erinnerte mich an Jerewan in Armenien. Das Brot spottbillig, noch warm und einfach großartig, ein Hauch salzig, ein Hauch sauer, eine Geschmacksexplosion. Ich verspeiste eines sofort, das andere trug ich noch ein paar Stunden im Rucksack herum, bevor ich es mir einverleibte.

Weiter durch die Altstadt, viele Häuser verfallen, einige zum Teil bereits eingestürzt oder gehalten durch Konstruktionen aus Stahl. Während ich rumlief, sah ich einen alten Mann sitzend auf einem Balkon, der malte. Ich fragte ihn, ob ich ihn fotografieren könne. Er nickte und signalisierte mir, ich könne einfach um das Haus herumlaufen und hineinkommen. Gesagt, getan. Wieder so ein altes Haus, die Dielen waren an manchen Stellen so marode und lavede, dass ich dachte, sie würden durchbrechen. Aber ich kam unbeschadet auf dem Balkon an. Dieser war ein kleiner Flohmarktladen. German, so der Name des alten Mannes, verkaufte Verschiedenes: alte sowjetische Magazine, aber auch den Eulenspiegel aus der DDR, Bücher, Pfeifen. Er sprach ein wenig Russisch mit mir. Ich fragte ihn, ob ich auch mal in seine Wohnung könne oder in sein Zimmer hinter dem Balkon. Es war ihm sichtlich unangenehm, aber ich durfte trotzdem eintreten und Fotos machen. Das Zimmer war ganz abgedunkelt, der Fernsehapparat lief (eine alte Musiksendung in Schwarz-Weiß), ein Kühlschrank summte. Es gab ein Bett, eine Vitrine, einen Tisch, einen Stuhl und einen Schrank. Alles war sehr heruntergekommen, würden die meisten sagen. Aber ich mochte es. Es sah aus wie in einem Setting aus einem alten Film. Überall lagen Dinge herum, alte Dinge und Zigarettenstummel und Schokoladenverpackungen. Ich trat aus der Zeitkapsel wieder heraus und kaufte zwei sowjetische Journale und einen antiken Rechenschieber. Leider hatte ich erst nicht genug Kleingeld, dann gab ich German eine Mischung aus Euro und Lari und zog weiter.

Bis ich den Schmetterling traf. Den echten Namen weiß ich nicht mehr. Den Schmetterling mit den drei Hunden. Darunter waren noch zwei ganz ganz kleine Hündlein, um die sich der Schmetterling ganz wundervoll kümmerte. Ich denke, der Schmetterling lebt auf den Straßen von Tiflis und flattert da herum. Ich traf ihn in der Nähe einer orthodoxen Kirche. Nahm ich den Wink des Schicksals gleich wahr und gesellte mich zum Gottesdienst. Ich mochte die Gesänge der Frauen sehr und den Duft vom Weihrauch und diese dunkle, magische Stimmung. Früher, als ich in Russland das erste Mal an einem orthodoxen Gottesdienst teilnahm, verspürte ich Angst oder hatte dieser mir Angst gemacht. Das war bei diesem georgisch-orthodoxen Gottesdienst nicht so. Es war einfach nur schön und ich konnte meine müden Beine ausruhen, bevor es zurück in mein Zimmer ging, vorbei am Fluss (Kura) und am schiefen Uhrenturm am Puppentheater.

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Zweiter Tag in Tbilisi, zweieinhalbter Tag, genau genommen. Es war heiß, feucht-heiß, der Körper am Anschlag. Viel Wasser. Sehr viel trinken. Letztes Jahr Armenien, nun Georgien. Zwei kleine (ehemals sowjetische) Staaten, zwei Kulturen, die nebeneinander liegen – geografisch gesehen. Nachbarn. Und so unterschiedlich. Georgien so weltzugewandt, so scheinbar offen für andere Kulturen. Viele Menschen aus verschiedensten Ecken der Welt auf den Straßen. Ich hatte nie das Gefühl, in einem Land zu sein, das so richtig unfrei ist. Dennoch gab es tief in mir ein Gefühl von „Gefängnis“.

An diesem Tag stand ich recht spät auf. Die Reise steckte mir noch in den Knochen, der Zeitunterschied tat sein Übriges. Letzte Nacht hatte ich auf meinem Heimweg Sujets entdeckt, die ich nun fotografieren wollte. Zum Beispiel ein Haus von 1911, gleich um die Ecke. Keine zwei Gehminuten von meiner Herberge entfernt. In diesem Haus hatten einst zwei Brüder, die mit Tabak viel Geld verdienten, Maler damit beauftragt, Wandbemalungen anzubringen. Ein so wundervoller Platz, in den oberen Etagen lichtdurchflutet. Gleich daneben ein Café oder eine Bar in einem Haus, das vor sich hin verfiel. Und dennoch stand dort wie selbstverständlich ein Klavier im Hausflur, einfach so. So viel Geschichte, so viel Verfall, so viel Neues. Alles nebeneinander.

Ich spazierte zur Metrostation und kaufte mir eine Fahrkarte für den öffentlichen Verkehr in Tbilisi. Gültig für sieben Tage, Kosten: sieben Euro. Erste Metrofahrt gleich anschließend. Die Rolltreppen waren genauso lang wie in Kiew oder Sankt Petersburg. Neu war, das hatte ich noch nirgends gesehen, Jugendliche sassen auf den Rolltreppen, um sich mit ihrem Handy beschäftigen zu können. Die Stationen selbst nicht ganz so prunkvoll, eher einfach gehalten. Die Metrowagen natürlich voll, wie überall in Osteuropa. Ich war auf dem Weg zum Hauptbahnhof, um ein Zugticket für meine Fahrt am kommenden Wochenende nach Batumi am Schwarzen Meer zu kaufen. Als ich ankam, vereinnahmte mich erst einmal der Markt ringsherum. Es war heiß. Es war staubig. Es fuhren viele Autos. Immer wieder diese vielen Karren. Ohne sie wäre die Stadt ein so viel besserer Platz! Auf dem Markt gab es Markennachahmungen von allem, was das Herz begehrt: Schuhe, Klamotten, Taschen. Und ganz viele alte Frauen, seltener auch alte Männer, verkauften Gemüse und Obst. Ich erwarb blutrote Kirschen. Bis ich anschließend den Ticketschalter im Bahnhof fand, verging eine lange Weile. Dieser Bahnhof ist nämlich mehr Einkaufstempel als Bahnhof. Kein Wunder – besonders viele Züge fahren ja nicht ab. Die Menschen bewegen sich hier meist mit Autos, Bussen oder Marschrutkas (Minibussen) fort.

Nachdem ich die Tickethalle schließlich auf Etage 4 gefunden hatte, kaufte ich meine Fahrkarte. Der frühe Zug am Samstagmorgen um acht Uhr, den ich eigentlich nehmen wollte, war bereits ausgebucht, also konnte ich nur noch ein Ticket für den Abendzug ergattern. Anschließend nahm ich einen Bus zurück in mein Viertel im Zentrum von Tiflis. Ich hing an der Fensterscheibe, ließ die Stadt an mir vorbeiziehen. Wieder angekommen in meiner Hood, besorgte ich ein paar Lebensmittel und Wein. Vorher begegnete ich noch Georgi. Er möchte unbedingt, dass Georgien ein Teil der EU wird. Dafür demonstrierte er nun schon seit einem halben Jahr, jeden Tag um acht Uhr vor dem Parlament. Die Hoffnung aber hat er aufgegeben. Er sagte, Russland sei einfach zu stark. Und die Georgier, sie seien einfach zu ängstlich. Georgi imponierte mir. Spoiler: Ich traf ihn sogar wieder. Der Zufall wollte es so.

Mir fiel es schwer, die Menschen und ihre Situation wirklich einzuschätzen. Die ganze Zeit Konsum. Mit dem Handy. Produkte. Überall Gewusel. Die Straßen voll, die Cafés auch. Da waren so viele Autos. So viele Luxusmarken-Shops. Mit meinen Gedanken ging ich zurück in mein temporäres Zuhause, aß und ließ mir den georgischen Wein schmecken.

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