(Zug)Reisegeschichten aus deutschem Land mit dem Konvolut analoger Kameras – RIESA, MECKLENBURG, BERLIN, DÜSSELDORF
9-Euro-Ausblicke-Und-Weiterreisend / TEIL IX
Der Plan: Mit dem 9-Euro-Ticket all die Orte im Osten der Republik abfahren, die ich noch nie sah in meinem Leben, um die Besuche analog auf Filmmaterial festzuhalten, also den Status Quo dieser Plätze einzufrieren. Das 9-Euro-Ticket ist Geschichte. Mittlerweile nenne ich ein Deutschlandticket mein Eigen. Wenn die Sonne zwischen den Wolken durchschaut, es nicht regnet, ich Zeit habe und fotografische Lust verspüre, mache ich mich immer wieder auf den Weg. Meine Themen sind Brutalismus, sozialistische Überbleibsel, Mensch und Raum, Vergangenes, Vergilbtes, Totes, Skulpturen und alles, was meinen Geist und meine Ästhetik anspringen mag.
So beginnt meine kleine Reportage, die ich nach meinem Besuch in Riesa geschrieben habe. Denn ich fuhr nach Riesa, um den Parteitag der AfD „zu stören“. Das war die Aufrufversion. Wir können es aber auch so nennen: Ich kam vorrangig zum Demonstrieren in die Stadt. Als Antifaschistin, als Antikapitalistin.
„Eine Geisterstadt“, sagte eine Demonstrantin. In Riesa leben derzeit rund 30.000 Menschen – 1995 waren es noch deutlich über 40.000. An diesem Samstag schienen die Riesaer Leute tatsächlich wie ausgestorben. Nur eine Handvoll schaute aus den Fenstern oder beobachtete das Treiben anderweitig. Aber vielleicht sehe ich sie bei meinem nächsten Besuch.
Denn ich muss unbedingt wiederkommen. Die Polizei erschwerte meine Fotografie erheblich. Ich durfte bestimmte Pfade nicht verlassen und an bestimmten Ecken nicht abbiegen. Dabei gibt es in Riesa eines im Überfluss: Altes, Marodes, Vergessenes.
Mecklenburg (2023, 2024)
Über meine mecklenburgische Heimat habe ich erst vor kurzem eine Serie veröffentlicht. Diese ist bereits im Jahr 2017 entstanden, damals mit digitalen Kameras. Nun habe ich meist nur noch meine analogen Agat-Apparate dabei, wenn ich die heimatlichen Gefilde besuche. <-Zur Serie von 2017-> Dort habe ich auch über meine Beziehung mit der Heimat geschrieben.
BERLIN (2023, 2024)
Schon als ich ein Kind war, habe ich Ostberlin geliebt. Ich erinnere mich an die Internationale Friedensfahrt, an ein Konzert von Petra Zieger auf dem Alex, sowieso die Weltzeituhr und den Fernsehturm, den Fabrikverkauf von Action-Kosmetik und die dreieckigen Kakaogetränke mit Strohhalm. Wir fuhren von Mecklenburg häufig mit dem Zug in die Hauptstadt der DDR. Einmal standen wir ganz nah an der Mauer, die die Stadt in zwei Städte aufteilte, und beobachteten die Wachablösung der Soldaten der Nationalen Volksarmee Unter den Linden. Auch ein Hubschrauber flog bis zur imaginären Himmelsgrenze und kehrte dann wieder zurück. Faszinierend.
Später zogen Familienmitglieder nach Berlin, und ich verbrachte immer wieder viel Zeit in der wiedervereinigten Stadt. Ich arbeitete dort, hatte Freunde und Affären und genoss meine Berlinliebe. Eine Zeit lang teilte ich diese Liebe mit einer anderen großen Liebe. Wir besuchten die Stadt und liebten einfach zusammen weiter.
In den vergangenen Jahren jedoch reichten meine Gefühle nur noch für kurze Aufenthalte oder Jobs in der Stadt. Zu viele Touristen, zu viel Kapital, zu teuer, zu dreckig – alles auf einmal zu … Momentan reicht es nur für kurze Zwischenstopps. Aber ich bin mir sicher, Berlin und ich kommen wieder zueinander. Ein wenig Abstand wird uns guttun.
DÜSSELDORF (Mai/Juni 2024)
Über die Jahre war ich bereits einige Male in Düsseldorf. Dennoch würde ich sagen, dass ich die Stadt nicht wirklich kenne. Bei jedem neuen Besuch wirkt sie auf mich erneut fremd – oder vielleicht neu? Eine emotionale Bindung kann ich nicht verspüren. Die alte bundesdeutsche Ästhetik, die an der ein oder anderen Stelle noch deutlich präsent ist, lockt mich nicht wirklich hinter dem Ofen hervor. So bleiben auch meine textlichen Beschreibungen auf ein Minimum beschränkt.