Diese kleine Bilderreise durch Mecklenburg-Vorpommern, der Gegend meiner Geburt, meine Heimat, der Landstrich, in dem der größte Teil meiner Familie immer noch lebt, unternahm ich 2017. Es war ein Jahr des Übergangs – politisch, gesellschaftlich, technologisch – zwischen traditionellen Strukturen, Stillstand und der sich beschleunigenden digitalen und politischen Entwicklung, die in den kommenden Jahren so einiges losrollte und veränderte.
2017. Donald Trump wurde im Januar als US-Präsident vereidigt. Seine erste Amtszeit war von polarisierenden Entscheidungen wie dem Einreiseverbot für mehrere muslimische Länder („Muslim Ban“) und dem Austritt der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen geprägt. Großbritannien bereitete sich auf den Brexit vor. Die COVID-19-Pandemie, die die Welt ab 2020 verändern sollte, war noch kein Thema. Soziale Distanzierung, Maskenpflicht und globale Impfkampagnen waren 2017 noch unbekannt.
In Deutschland wurde Angela Merkel bei der Bundestagswahl im September erneut Bundeskanzlerin. Die AfD zog erstmals als drittstärkste Kraft in den Bundestag ein.
2017 fotografierte ich selbst noch fast ausschließlich digital – ein Umstand, der sich in den darauffolgenden Jahren gewaltig ändern sollte. Mein erstes Buch „Trümmer“ war damals noch nicht erschienen, und ich war noch nicht mehrmals in die Ukraine gereist. 2017 wurde ich Finalistin in der Kategorie Porträt des Hellerau Photography Awards – ein guter Moment für mich in diesem Jahr. 2017 kannte ich so einige Menschen noch nicht, die mir in den nächsten Jahren begegneten. Einige kleine Menschen meiner Familie waren noch nicht geboren.
Warum ich diese kleine Sommer-Mecklenburg-Rundreise gemacht habe, weiß ich heute nicht mehr genau. Es war damals eine spontane Entscheidung, vielleicht der Wunsch, meine Heimat einmal mit erwachsenen Augen zu sehen und mit der Foto-Kamera festzuhalten. 2017 durchquerte ich noch mit dem Automobil die Landschaften, die ich seit meiner Kindheit kenne, aber mit neuem Blick entdecken wollte. Damals fuhr ich auch los, um Neues zu entdecken. Denn nicht alles hatten meine Kinderaugen bereits gesehen. Im Sommer 2017 verbrachte ich mehr Zeit in Mecklenburg-Vorpommern als üblich. In den Jahren zuvor war es meist nur eine Ferienwoche mit meinen Neffchen, doch in diesem Sommer ergaben sich mehr Gelegenheiten – mit meiner Familie, aber auch mit Freunden und Menschen, die ich an verschiedenen Orten traf und mit denen ich ins Gespräch kam. Es erinnerte mich ein wenig an die Zeit, als ich als Journalistin für die Schweriner Volkszeitung unterwegs war.
Als ich auf die Welt kam, gab es Mecklenburg-Vorpommern entweder nicht mehr oder noch nicht. Such es dir aus, geneigte Leserin. Ich wurde im Bezirk Schwerin geboren. Drei Bezirke bildeten den Norden der DDR: Bezirk Rostock, Bezirk Schwerin, Bezirk Neubrandenburg. Autokennzeichen A, B, C. Kein Witz. Der braune Skoda aus meinen Kindertagen fuhr mit einem „B“ durch die Gegend.
Funfact: In meiner Familie gab es einen Trabant mit dem Kennzeichen „I-BB“. Die junge Familie lebte damals in der Hauptstadt der DDR, Ostberlin, und sagte stolz, sie hätten „das perfekte Autokennzeichen“. Icke-BinBerliner. Warum ich mich an so etwas erinnere? Keine Ahnung.
Ganz sicher erinnere ich mich an meine geliebte Großmutter, die in Brandenburg geboren wurde und dort aufwuchs, bevor sie in den letzten Zügen des Zweiten Weltkrieges nach Mecklenburg ging – oder flüchtete (ich bekomme die Geschichte nicht mehr ganz zusammen). Sie erzählte immer, wie rückständig Mecklenburg doch war. „Brandenburg hatte längst Strommasten und flächendeckend Strom – Mecklenburg noch nicht!“ Im Herzen blieb sie wohl immer Brandenburgerin. So wie ich im Herzen Mecklenburgerin war, bin und wohl auch immer bleiben werde.
Meine Mutter wurde bereits in Mecklenburg geboren. Ihre Eltern fanden nach den Wirren des Krieges dort zusammen. Meine Großmutter war, wie schon erwähnt, aus Brandenburg gekommen, mein Großvater aus Königsberg. Die Eltern meines Vaters hingegen verschlug es durch die Wirren des Krieges aus Kiel und Königsberg nach Sachsen, wo mein Vater geboren wurde. Die Autobahn – an der er arbeitete – führte ihn schließlich in den damaligen Bezirk Schwerin. Dort begegnete er meiner Mutter, und er blieb. Die beiden Töchter wurden zu waschechten Mecklenburgerinnen. Eine von ihnen lebt nun in Sachsen, eine in Mecklenburg-Vorpommern. Später kam für die Schwestern noch ein Bruder hinzu. Sein Vater ist Mecklenburger. Und er auch, so richtig von Herzen.
Mecklenburg-Vorpommern: ein sowjetisches Gebilde (Wer hätte das gedacht?). Unter sowjetischer Besatzung wurde aus den Freistaaten Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz sowie dem westlichen Teil der preußischen Provinz Pommern das neue Land Mecklenburg-Vorpommern gebildet. Zwei Jahre hieß es so, dann wurden Bindestrich und Vorpommern aus dem Namen gestrichen, 1952 verschwand auch Mecklenburg. Es entstanden drei Bezirke: Rostock, Schwerin und Neubrandenburg. Der Name Mecklenburg „Mikelenburg“ tauchte erstmals in einer Urkunde des Jahres 995 auf. Er bezeichnete die slawische Burg Mecklenburg (Wiligrad) im heutigen Dorf Mecklenburg bei Wismar.
Mich verbindet eine große Liebe zu meinem Mecklenburg, meist jedoch nur aus der Ferne. Eine Fernsehnsucht sozusagen. Lange sein, kann und will ich dort nicht. Mir fehlen Kunst und Kultur und Menschen. Weitblick. Urbanität. Was ich liebe? Das Wasser, das Süße. Das Meer beeindruckt mich weniger; ich bin ein Kind der Seenplatte. Und ich liebe Barlach. Der große Künstler lebte lange in der Stadt, in der ich geboren wurde. Schon in meiner Kindheit war er für mich immer präsent, und auch heute noch begegnet mir sein Werk mit einer ganz besonderen Kraft. Ich mag auch die Leere, den Raum, die Freiheit, die Mecklenburg ausstrahlt. Besuche bei meiner Familie sind mir besonders wichtig – vielleicht sogar das Wichtigste. Ein Ort, der so bedeutsame Menschen beherbergt, kann nur (m)ein Lieblingsort sein.