Antje Kröger | Fotokünstlerin

Snaga Lavova

Posted by on Jan 25 2023, in Mensch

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Identität, Schönheit, Selbstausdruck (1923 // 2023)


Fantasievolle Verwebung dreier Frauenbiographien des 20. Jahrhunderts, angelehnt an die Leben der kroatischen Komponistin Dora Pejačević, der Wiener-Lebefrau Alma Mahler-Werfel, der amerikanischen Tätowiererin und Schaustellerin Betty Broadbent. Die Geschichte beginnt im Januar 1923.


Snaga klade valja a um caruje 

Kroatisches Sprichwort

Am 30. Januar 1923 wird Theo auf Schloss Našice geboren. Dora bringt ihn ohne große Probleme auf die unruhige Welt. Sie ist 38 Jahre alt. Eine späte Mutter, in ihren Kreisen, zu ihrer Zeit. Seit erst zwei Jahren ist sie mit Ottomar verheiratet, eine späte Ehefrau, in ihren Kreisen, zu ihrer Zeit. Ihr Kreis, das ist der k. und k.-Adel. Besser gesagt, der ehemalige k. und k.-Adel. Denn 1918 verändert sich das politische Geflecht Europas. Dora wird ihr Söhnchen Theo nur ein paar Wochen seines Lebens begleiten können. Sie stirbt im März 1923 an einer Vergiftung. An ihren Ehemann gibt sie folgende Worte mit auf den Erziehungsweg: „Handle gleich, ob es sich um ein Mädel oder einen Buben handelt; jedes Talent, jedes Genie erfordert gleiche Rücksichtnahme – das Geschlecht darf da nicht in Frage kommen.“ Den Brief an Ottomar verfasste sie Monate vor der Geburt des gemeinsamen Kindes.


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Snaga Lavova – Identität, Schönheit, Selbstausdruck (1923 // 2023)

Budapest, 1885: Doras Geburt verläuft auch ohne große Vorkommnisse. Ihre Kindheit und Jugend verbringt sie erst im slawonischen Našice, später in Zagreb. Politische, ökonomische und kulturelle Veränderungen hängen in der Luft. Erst bricht die österreichisch-ungarische Monarchie zusammen, dann die russische Oktoberrevolution aus, aber auch vier blutige 1. Welt-Kriegsjahre verwüsten die europäische Welt auf eine Weise, wie noch nie da gewesen. Dora ist hochsensibel, sie kann fließend sechs Sprachen lesen, sprechen, schreiben. Sie beginnt als zweijährige das Klavierspiel, später noch das Spiel der Geige. Dora zeichnet eine markante Physiognomie und ein stets trauriger Gesichtsausdruck aus. Sie wird durch eine Privatlehrerin und Gouvernante betreut. Sie liest musikwissenschaftliche, aber auch philosophische und politische Texte. Sie umgeben vier Geschwister, ihr Vater hat hohe politische Ämter inne, ihre Frau Mama ist Sängerin und Pianistin. Doras Herz schlägt links und im Takte der Freiheit. Sie lernt die Komposition und die Musik als ihre Lebensberufung zu schätzen und bildet sich ununterbrochen fort. Sie pflegt zwei weibliche Freundschaften, ein Leben lang. Was genau der Begriff Freundschaft ihr bedeutet, darüber schweigt sie sich aus. Sie schweigt auch über die Liebe. Alle Gefühle versenkt sie in die Komposition, in die Musik. Kunst ist ihr Leben, ihr Leben ist Kunst. Und so kann es wahrlich kein Zufall sein, dass sie während eines abendlichen Salonspektakels auf Alma trifft.


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Snaga Lavova – Identität, Schönheit, Selbstausdruck (1923 // 2023)

Dora residiert mittlerweile in Wien, wir schreiben das Jahr 1919. Österreich ist eine Republik. Wien ist rot. Wird sozialdemokratisch regiert. Alle Kraft in gute Bildung, erschwingliches Gesundheitswesen und sozialen Wohnungsbau. Doras Freund Karl Kraus ist der Aufbauarbeit gegenüber positiv gestimmt, S. Freud auch. Alma hingegen interessiert sich nicht für Politik. Sie interessiert sich für die Liebe. Liebe als Quelle von Macht. Sie will angebetet werden, von allen und jedem. Geliebt zu werden, hält sie für ihr natürliches Recht wie das „Anrecht auf Luft und Wasser“.


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Snaga Lavova – Identität, Schönheit, Selbstausdruck (1923 // 2023)

„Er hält von meiner Kunst gar nichts – von seiner viel – und ich halte von seiner Kunst gar nichts und von meiner viel. So ist es! Nun spricht er [Gustav Mahler] fortwährend von dem Behüten seiner Kunst. Das kann ich nicht. Bei Zemlinsky wärs gegangen, denn dessen Kunst empfinde ich mit – das ist ein genialer Kerl.“

Tagebuchsuiten, 19. Dezember 1901, Alma Mahler-Werfel


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Snaga Lavova – Identität, Schönheit, Selbstausdruck (1923 // 2023)

Dora und Alma reden an diesem Abend im Oktober stundenlang miteinander, von Frau zu Frau, von Komponistin zu Komponistin, von lautem zu leisem Herz. Alma trinkt (ordentlich), Dora raucht (moderat). Witwe Alma berichtet fast journalistisch von Gustav, dem Leben in New York, der Krankheit, dem frühen Tod, nicht nur des Ehemannes, sondern auch der Tochter (Putzi). Sie wirkt abgeklärt. Auch der letzten Liaison gegenüber. Oskar. Ein Kautz. Er ist der Alma verfallen mit Haut und Haar. Der Maler, ein paar Jahre jünger als die Dame. Oskar liebt ihren Körper und den „Geist“, vielleicht auch, weil er es so will, den Schmerz der Liebe als Kraft für die Kunst? Alma ist Muse, Model, mütterliche Geliebte. Herzkrampf. Herzkampf. Alma ist Projektion. Alma ist Konzentration. Alma ist eine Entscheidung. Oskar kreiert sieben Fächer für Alma. Tusche und Aquarell auf ungegerbter Ziegenhaut. Er schenkt sie ihr zwischen 1912 und 1914 und bezeichnet die Fächer als „Liebesbriefe in Bildersprache“. Oskar macht Alma Angst. Drei Jahre. Mehr will Alma nicht. Ein Kind in ihrem Bauch treibt sie ab. Oskar ist nie bereit für eine Trennung. 1918 bestellt er bei einer Puppenmacherin eine lebensgrosse Puppe als Abbild der Angebeteten. Oskar fertigt Skizzen an. Die Puppenfrau näht eine Alma mit Haut aus Seide und echten Menschenhaaren. Oskar lebt mit der Puppen-Alma zusammen. Malt sie. Geht mit ihr ins Caféhaus und ins Bett. Während eines Rotweingelages tötet (ermordet) er die verpuppte Alma. Alma ist tot. Es lebe Alma. Alma zu Dora: „Nie wieder werde ich eines Mannes Sklavin sein!“ Sie betört und verzaubert, sammelt Künstler wie Edelsteine, die Alma, aber sie gehört niemandem.


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Snaga Lavova – Identität, Schönheit, Selbstausdruck (1923 // 2023)

Dora verfällt der Alma an diesem Abend, nicht erotisch oder gar sexuell. Gedanklich. Auch Dora fühlt die große Freiheit in jeder ihrer Lebensfasern. Sie treibt eine Neugierde um. Eine Gier nach Neuem, in der Musik, in der Kunst, aber auch im Leben. Sie sehnt sich nach fremden Orten, ihrer Herkunft, nach neuen Verknüpfungen, nach Brüchen und Umbrüchen. Erst gestern sind ihr in einem Buchhandel im 3. Bezirk Noten alter kroatischer Volksweisen in die Hände gefallen. Und eine Photographie eines 14-jährigen amerikanischen Mädchens, dass an Teilen ihres Körpers wunderlich „bemalt“ ist. Ihr Name Betty.


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Snaga Lavova – Identität, Schönheit, Selbstausdruck (1923 // 2023)

Betty ist Tochter einer Sintezza und eines Südstaatlers, die Menschen werden sie Jahre später „Tätowierte Venus“ nennen, irgendwann ist sie fast am gesamten Körper permanent bemalt. Diese Bemalung heißt Tätowierung und ist neu für Doras Augen. Was bewegt dieses Mädchen dazu, fragt sie sich. Eine Antwort: Das Mädchen verlässt sehr früh ihr zu enges Hause und trifft auf der weiten Welt der Straße verschiedene Herren, die sie für diese Tattoos begeistern. Im Laufe ihres Lebens entstehen auf Bettys Körper 365 Motive. Manche sprechen gar von 500 Motiven. Sie ist eine Pionierin, ihrer Zeit weit voraus. Betty heuert an einem Zirkus an, lässt sich zu einer Bullenreiterin ausbilden. Später gründet sie ein eigenes Studio und wird selbst Tätowiererin. Sie betreibt irgendwann viele, viele Tattoostudios und gilt als die meistfotografierte tätowierte Frau des 20. Jahrhunderts (meist in schwarz/weiss). Auf ihrem Rücken hat sie das Bild der Madonna mit Kind, ein Adler mit ausgebreiteten Schwingen erstreckt sich von einer Schulter zur anderen. Daneben befinden sich Abbilder von Rosen, der amerikanischen Flagge, Piraten, Sinti oder Roma, Königin Victoria und anderen Berühmtheiten.


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Snaga Lavova – Identität, Schönheit, Selbstausdruck (1923 // 2023)

Dora stirbt im März 1923. Ihr Leben viel zu kurz für die Abenteuer, die noch erlebbar gewesen wären. Lange schafft sie es, sich den Konventionen von Ehe und Familiengründung zu entziehen. Mit der Entscheidung für beides, entschied sie sich unter Umständen auch für den Tod. Theo zehrt wie auch ihr Publikum von der Musik, die Dora hinterlässt. Betty heiratet im Laufe ihres Lebens mehrere Male und bringt einen Sohn zur Welt. Sie stirbt 1983. Alma ist viermal verheiratet, bringt vier Kinder auf die Welt. Nur eine Tochter überlebt das Kindesalter. Sie stirbt 1964, ihre Tochter ist bei ihr.


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Snaga Lavova – Identität, Schönheit, Selbstausdruck (1923 // 2023)
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Snaga Lavova – Identität, Schönheit, Selbstausdruck (1923 // 2023)
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Snaga Lavova – Identität, Schönheit, Selbstausdruck (1923 // 2023)
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Snaga Lavova – Identität, Schönheit, Selbstausdruck (1923 // 2023)
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Snaga Lavova – Identität, Schönheit, Selbstausdruck (1923 // 2023)
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Snaga Lavova – Identität, Schönheit, Selbstausdruck (1923 // 2023)
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Snaga Lavova – Identität, Schönheit, Selbstausdruck (1923 // 2023)
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Snaga Lavova – Identität, Schönheit, Selbstausdruck (1923 // 2023)
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Snaga Lavova – Identität, Schönheit, Selbstausdruck (1923 // 2023)
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Snaga Lavova – Identität, Schönheit, Selbstausdruck (1923 // 2023)
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Snaga Lavova – Identität, Schönheit, Selbstausdruck (1923 // 2023)
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Snaga Lavova – Identität, Schönheit, Selbstausdruck (1923 // 2023)

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  • […] Während des Frühstücks wurde dann erst einmal wild der weitere Plan für den Tag durcheinander gewirbelt, denn Jemand wollte dann doch, wenn schon in Wien, Klimt, Schiele, Kokoschka sehen. Ich war ja schon ein paar Mal in der Stadt und verspürte wenig Lust auf die Künstler der Wiener Secession. Aber zum Glück ließ ich mich sehr schnell überreden. Denn unser Ausflug ins Leopold Museum war ein ganz besonderer Augen- und Fühlschmaus. So viel emotionsgeladene Kunstwerke unter einem Dach. Wahnsinn. Wir schafften kaum, alles zu erforschen und einzuverleiben. Und Jemand war ganz traurig, dass unsere Zeit im Museum so schnell verging, dass der Museumsshop beim Verlassen des Gebäudes schon geschlossen war. In meiner Serie „Snaga Lavova“ habe ich meine Wiener Kunsteindrücke verarbeitet… […]

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