Kuba – Oktober & November 2016
Posted by Antje Kröger Photographie on Dez 24 2016, in Mensch, Welt
Prolog
Ich vermisse Kuba. Ich vermisse Havanna und all die anderen Plätze, die sich in mein Herz gegraben haben – mit diesen Momenten, Momenten voller Abenteuer, voller Solidarität, schwerer Leichtigkeit und leichter Schwere. Ich kann kaum die richtigen Worte für diese Reise finden, während ich im winterlich dunklen Deutschland sitze. Doch die erlebten Momente verschwinden nach und nach aus meinem Kopf; warum lässt sich das nicht einfach aufhalten? Deswegen schreibe und schreibe ich nun, damit in meinen Zeilen mehr karibische Leichtigkeit als deutsche Schwermut mitschwingt.
Kuba 2016 war ein Geschenk meiner Familie an mich und auch mein eigenes, zu meinem besonderen Jahrestag. Warum Kuba? Ich erinnere mich, dass Mama als ich ein Kind war, nach Kuba reisen wollte – mit dem Schiff. Damals beschäftigte mich das Land zum ersten Mal. Wir lebten in der DDR und Kuba erschien mir wie etwas, das nicht von dieser Welt sein konnte. Ich kannte zwar die Bananen und Orangen aus Kuba (schließlich musste ich mich danach immer anstellen) und hatte die kubanischen Studenten, die bei uns um die Ecke wohnten, schon oft singen hören, aber wo Kuba, dieses Stück Land liegen könnte, war mir nicht klar. Warum Mama dann doch nicht gereist ist, weiß sie übrigens heute selbst nicht mehr.
So blieb Kuba seit Kindertagen eine kleine Sehnsucht in mir. Sie tauchte in Jahresabständen immer wieder auf und verlangte nach Aufmerksamkeit. 2011 wurde es durch neue kubanische Gesetzte leichter, auch individuell auf der Insel unterwegs zu sein. Damals war ich noch angestellt und verfügte nur über den normalen Urlaubs-Tage-Rahmen. Mir war klar, dass Kuba ein Fleck Erde ist, der nach mehr verlangen würde als die üblichen 14 Tage. So wartete ich geduldig und steckte meine Energie, meinen Fleiß, all meine Gedanken und vor allem all mein Geld in meine Selbstständigkeit, die mir bis heute das Wichtigste ist.
Im Oktober 2016 folge ich dann endlich dem (fotografischen) Ruf in das noch sozialistische Kuba: Ein wichtiger Aspekt meiner Reise ist der politische. Ich als Linke und DDR-Geborene bin neugierig, wie der Sozialismus auch heute noch praktiziert, aber vor allem persönlich gelebt wird. Außerdem unterscheidet sich diese Reise auch von meinen anderen der letzten zwei Jahre, denn ich reise nicht alleine. Frauke ist an meiner Seite. Frauke, mein Modell, meine Meisterschülerin, meine Freundin. Ein Feldversuch – abhängig unabhängig zu sein und zu bleiben, künstlerisch zusammen zu arbeiten, strenge Lehrerin zu sein, in vielen Momenten aber auch nur Freundin und Reisepartnerin. Der Versuch ist gelungen. Wir arbeiten beide so unglaublich viel und fleißig, dass wir die wenig-schwierig-emotionalen Momente umschiffen oder aus dem Weg räumen können. Wir fliegen von Berlin über Madrid nach Havanna, unsere erste Casa (Unterkunft) buchen wir im Internet, welches Glück wir dabei haben, erzähle ich später.
Während der gesamten Reise begleitet uns Musik. Ein paar Erinnerungen in einer Spotifyliste:
Frauke und mir sind die Sinnlichkeit und das aufmerksame Fühlen während der gesamten Reise wichtig, wir wollen Kuba mit unseren Augen sehen, mit unseren Ohren hören und mit unseren Zungen schmecken. Ich sehe, höre und schmecke immer noch und will am liebsten nie wieder damit aufhören.
(Frauke)
So viel Licht! So viel Schatten! Kuba – ein Ort, über den man sich keine Vorstellungen machen kann, die nicht durch das Bereisen des Landes zerrissen würden. Dieses Land ist unstillbares, gleißendes Licht. Und hier begreife ich: es sind die Schatten, die die Geschichten erzählen. Wir betrachten und kreuzen sie, brechen sie und interagieren mit ihnen. Wir werden zu Schattenspielerinnen und beginnen dabei, selber Lichtspuren zu hinterlassen. Mit meiner Entscheidung mit Antje zu reisen, bin ich meiner ewig hungrigen Suche nach Selbstausdruck und dem Wunsch nach intensiver Freundschaft gefolgt.
Unsere Route: Havanna – Matanzas – Santa Clara – Cienfuegos – Trinidad – Camagüey – Santiago de Cuba – Havanna – Pinar del Río – Viñales – Havanna
Zeigen werde ich hier meine Reportagefotos unserer Reise. Alles Material, das zusätzlich entstanden ist, wird das Licht der Welt erblicken, wenn die Zeit reif dafür ist. Und am Ende, am Ende sind Fotos, die Fraukes Augen gesehen haben.
Havanna
Was für eine Stadt. Ich bin verliebt – mit allem, was dazu gehört, vor allem natürlich der rosa-roten Brille und dem Kribbeln im Bauch, wenn ich nur an sie denke. Der Malecón (das tosende Meer, die Ruinen, entstanden durch die salzige Luft), die Autos, die Pioniere, die nicht optimierten Menschenkörper, die Polikliniken, die Wärme, der Rum, das täglich wechselnde Wolkenspiel, die Regenfälle, die Farben, der Zuckerrohrsaft, die Spaghetti, die süßen Früchte des Frühstücks und die frischen Avocados, der starke Kaffee, die Künstler, der Geruch des Salzes, das Licht, der Rhythmus, die Musik, die ausladenden Frauenkörper, die pfeifenden Männer. Gut die Männer, sie sind in vielen Momenten lästig. Wir europäischen Frauen sind den karibischen Machismo nicht gewöhnt. Jede Frau, die jedoch darunter leidet, dass sie in unseren Breiten nicht wahrgenommen wird, der sei empfohlen, sich in Kuba aufzuhalten. Frauen sind Göttinnen, alle! Und sie bewegen sich genauso durch die Straßen, immer mit enganliegender Kleidung, manchmal in beißenden Farben, immer stolz.
Wir landen in der Dunkelheit in Havanna. Aus dem Flugzeug heraus ahne ich die Stadt nur, denn sie ist nur wenig beleuchtet. Der Flughafen empfängt uns sehr entspannt, kaum Shops, keine Werbung, erholsam. Die Einreise geht flugs, nur das Tauschen unserer Euro in die kubanische Währung CUC (Kubanischer Peso convertible) dauert etwas. Das mit dem Geld ist kompliziert in Kuba, wird aber nach und nach verändert. Nur dauert in der Karibik eben alles ein wenig länger.
Kuba hat derzeit zwei Währungen: CUC und CUP. CUC heißt die Touristenwährung (und die Währung für importierte Waren), die sich am Dollar orientiert. Ein Euro ist also annähernd ein CUC und Kuba somit ein relativ teures Reiseland in Mittelamerika. CUP (moneda nacional) ist der Kubanische Peso, die Ursprungswährung und Währung für staatlich subventionierte Waren und Dienstleistungen. 25 CUP sind 1 CUC. CUCs besitzen nur die Kubaner, die für den Tourismus arbeiten. Die Ungerechtigkeit liegt auf der Hand. Außerdem sind diese zwei Währungen auch für mich anstrengend. Manchmal ist nicht klar, ob die ausgeschriebenen Preise in CUC oder CUP sind, gerade dann, wenn wir uns außerhalb der touristischen Pfade bewegen. Das führt zu Unsicherheit, Verwirrung und manchmal eben auch zu Abzocke, die mich immer wieder verärgert.
Mit einem Taxi (das man übrigens auch in Euro bezahlen kann) fahren wir vom Flughafen in die Innenstadt von Havanna (dauert etwa 45 Minuten). Wir wohnen die ersten Tage bei Anay in einer Casa im Stadtteil Vedado gegenüber der Universität von Havanna und sehr nah am berühmten Hotel Havanna Libre (bis 1958 Havanna Hilton), das Fidel Castro nach der Revolution zu seinem Hauptquartier gemacht hatte. Während der ersten Revolutionsmonate regierte Fidel das Land von seiner Luxussuite im 23. Stock aus.
Vedado, bekannt wegen der Plaza de la Revolución, ist Havannas wirtschaftliches Zentrum und archetypisches Wohngebiet; es ist älter als Playa, aber jünger als Centro Habana. Anay und ihre Casa werden zu unserem kubanischen Anker. Gefühlt ist er es auch heute noch – den Blick von ihrer Dachterrasse oder aus einem ihrer Balkone werde ich niemals vergessen. Selten treffe ich einen Menschen, der in so kurzer Zeit so wichtig für mich wird. Anay ist 50, hat einen Sohn, der Medizin studiert, einen Mann, der bei Havanna Rum arbeitet und ist die gute Fee der Casa, in der wir einquartiert sind. Man muss wissen, dass die Kubaner seit 2011 Gäste in ihre privaten Häuser einladen und Zimmer an diese vermieten dürfen. Und dies machen nun verdammt viele, um Geld zu verdienen. An den Häusern, wo dies möglich ist, befinden sich blaue Anker. Touristen, die Zimmer mieten, müssen den Reisepass und das Visum für Kuba vorzeigen, alle Daten werden in das Buch der Casa eingetragen und mit der Unterschrift des Touristen versiegelt. Auf die Einnahmen müssen die Casa-Besitzer hohe Steuern bezahlen. Anay war eine der ersten privaten Vermieterinnen in Havanna. Sie hat in den letzten fünf Jahren viele Menschen aus der ganzen Welt kennengelernt. Selbst war sie noch nie an einem anderen Platz als auf Kuba. Ihre Familie wohnt in Miami, ihr Sohn hat einen spanischen Pass, so dass auch er reisen kann. Es ist so schwierig, das alles zu verstehen. Noch immer weiß ich nicht sicher, wer nun reisen kann und wer nicht. Sicher ist nur, dass es kompliziert ist, auch, sich darüber eine Meinung zu bilden. Nach fast fünf Wochen auf Kuba habe ich mir ein persönliches Bild machen können: viele Kubaner würden gerne mal nach Amerika reisen, einige Wenige auch woanders hin, aber fast alle möchten ihr Land als Wohnort niemals verlassen. Etliche Geflüchtete sind schon zurückgekommen.
Zurück zu Anay, die ich im Übrigen nie fotografiert habe. Wenn sie über ihre Familie spricht, hat sie Tränen in den Augen, weil sie sie nicht besuchen kann, spricht sie aber über ihr Land, sprüht der Stolz aus ihren Augen. Sie spricht ehrlich, kritisch, immer offen und lacht so gerne. Das mag ich so an ihr. Sie ist auch diejenige, die unsere Reiseroute kritisch beäugt und sie für uns reise-freundlicher macht.
Über drei Begebenheiten der ersten Tage in Havanna möchte ich berichten: über unseren legendären Tag (angelehnt an einen Rum, der Legendario heißt), unseren Ausflug zum Cementerio Cristóbal Colón und unseren Abendbesuch in der Fábrica de Arte Cubano.
Vom legendären Tag erzähle ich bewusst nur auszugsweise, Frauke und ich haben uns versprochen, dass wir einige Ereignisse dieses Tags für uns behalten würden, um die Legende des legendären Tages noch legendärer werden zu lassen.
An einem heißen kubanischen Tag im Oktober – es ist der 13. – öffnet die Universidad de La Habana an der ungefähr 25.000 Studenten eingeschrieben sind, ihre Pforten zum Tag der offenen Tür. Dort treffen wir Luis und Camilo. Ich unterhalte mich mit Camilo, 27, der im zweiten Jahr Geschichte studiert. Seine Eltern waren früher Mathematiklehrer, sind aber nun bereits Rentner. Camilo ist europäischer Abstammung, seine Großeltern waren Dänen, deshalb trägt er am Hals ein Tattoo mit ihrem Namen Hildemann. Frauke weiß mehr über Luis. Ich erinnere mich, dass er Anhänger der Santería Religion ist, gerade Novize und deshalb weiße Kleidung tragen muss (diese weiß gekleideten Menschen trifft man sehr häufig auf Kuba), er studiert Sozialwissenschaften.
(Frauke)
Luis erzählte stolz, dass es sein vorletzter Tag sei, an dem er die weiße Kleidung tragen müsse. Den typischen farbigen Perlenschmuck hat er zu seinem Schutz um Hals und Handgelenke gelegt. Der Grund für seine Bekehrung sei das Wunder der Schwangerschaft seiner Frau gewesen, die entgegen der Unfruchtbarkeitsdiagnose des Arztes seine Tochter gebärt hat. Gemeinsam mit Luis und Camilo passierten wir eine Fabrik. Luis erklärte uns, dass die Arbeiterinnen von uns Bonbons wünschen. Wir hatten keine. Noch nicht. Später betraten wir einen kleinen Laden irgendwo in Havanna und wollten uns mit Bonbons ausstatten. Das stellte sich schwieriger heraus als erwartet! Unsere Beute bestand dann aus genau zwanzig einzeln abgezählten, gold-knisternden Bonbons. Mir imponiert der Stolz und die Sorgfalt der Kubaner gegenüber ihren Produkten, den ich deshalb als positiv wahrnehme, weil sie Inbegriff von Selbstwirksamkeit einer gesunden Volkswirtschaft sind.
Mit beiden Jungs verbringen wir diesen Tag, Sie zeigen uns die gesamte Universität, auch die Plätze, wo Fidel Castro studiert und/oder sich sportlich betätigt hatte. Zum Abschluss trinken wir zusammen an einem geschichtsträchtigen Ort Negro, ein Getränk aus Limonade, Rum, Cola und Honig.
Zum Cementerio Cristóbal Colón (Havannas riesiger Friedhof) brechen wir morgens um acht Uhr auf. Wir stellen uns auf die Straße und halten unsere Daumen heraus, um ein taxi colectivo anzuhalten. Schnell sitzen wir in einem Auto mit Kubanern gefüllt, die entweder zur Arbeit fahren oder ihre Kinder zur Schule bringen. Taxi colectivo kann im Übrigen alles sein: amerikanischer Oldtimer, Lada, Moskvich, ein umgebauter Bus, LKW, Pferdekutsche, Motorrad mit Anhänger oder Fahrradtaxi. Wir sitzen an diesem Morgen in einem schwarzen Oldtimer. Der Cementerio Cristóbal Colón zählt zu den größten Friedhöfen Nord- und Südamerikas. Auf ihm befindet sich ein sehr berühmtes Grab, die letzte Ruhestätte von Señora Amelia Goyri, besser bekannt als La Milagrosa (die Wundersame), die am 3. Mai 1901 bei der Geburt ihres Kindes starb. Die Marmorfigur mit einem großen Kreuz und einem Baby ist nicht zu übersehen. Viele Jahre lang kam Amelias Ehemann nach ihrem Tod mehrere Male am Tag an das Grab. Er klopfte dabei immer mit einem Ringe an das Gewölbe und ging dann rückwärts weg, um die Statue noch so lange wie möglich zu sehen. Als die Leichen von Mutter und Kind einige Jahre später exhumiert wurden, war Amelias Körper nicht verwest, und das Baby, das zu Füßen seiner Mutter beerdigt worden war, lag in ihren Armen. So wurde La Milagrosa zum Mittelpunkt eines weit verbreiteten spirituellen Kults auf Kuba. Tausende von Menschen pilgern jedes Jahr hierher und bringen Geschenke, in der Hoffnung, dass sich ihre Träume erfüllen oder ihre Probleme lösen. Der Tradition entsprechend klopfen sie mit einem eisernen Ring an das Gewölbe und entfernen sich dann rückwärts gehend vom Grab. Dies alles erzählt mir der Grabpfleger Lázaro, der selbst jeden Tag La Milagrosa besucht, in der Hoffnung, dass sie Glück für sein Leben bringe.
Die Fábrica de Arte Cubano ist wahnsinnig, Superlative beschreiben sie ganz gut. Die Fabrik ist ein Club, eine Bar, eine Galerie, ein Konzertsaal, eine Theaterbühne, ein Restaurant, eine Disco und was weiß ich nicht noch alles. Und sie ist anstrengend, vor allem am Wochenende, wenn alle Kunstinteressierten und/oder Nachtfalter Havannas dorthin stürmen. Die Schlange am Einlass ist nur vor acht Uhr kurz. Im Laufe eines Abends kommen so viele Menschen, dass man bereit sein muss, diese auszuhalten. Das Programm ist bunt: Malerei, Performance, Workshops, Tanz, Salsa, Jazz, Rock, Indie usw. Ich habe dort die beste Kunst seit langem gesehen, vor allem die Aktfotografie hat mich überzeugt und beflügelt. Mein Tipp für alle, die die Fabrik besuchen wollen, Donnerstag ist dazu ein fantastischer Tag.
(Frauke)
Havanna! Dieser Stadt erkläre auch ich meine Liebe. Ich fühle für sie weiter, als es Worte gäbe. Wir leben uns hinein in die Anarchie von Havanna. Wir lassen uns schonungslos, direkt und ungefiltert von der Stadt nehmen: zu Fuß. Alles und jeder verzehrt uns nach Aufmerksamkeit, asthmatische Motoren verschlagen Atem und Gehör – und ich verzweifle an der Frage, wie ich diese Umstände jemals in ein Foto bannen könnte! Gleichzeitig finden wir unsere Kraftorte: auf unserer Casa-Terrasse über den Dächern und am schäumenden Malecón. Diese Stadt hat mich (uns?!) erwischt, verführt, überwältigt – und wieder in die Arme genommen. Sie wird niemals in meinen Aufzählungen der schönsten Orte fehlen. Ich sage im Stillen adé. Wie könnte ich sie je vergessen!
Von Havanna aus fahren wir ostwärts, zweimal kommen wir zurück, mit jedem Mal wird es heimelicher …
Matanzas
Der 31-Jährige Joe bringt uns mit seinem Lada nach Matanzas. Der Lockige besitzt eine Menge Schweine, ein Baby und besagten Lada. Auf Kuba kommen auf 1.000 Menschen 80 Autos. Während wir an Stränden vorbei fahren, dröhnt aus seinen Boxen Down by the riverside, das finde ich lustig. Die zweistündige Fahrt ist kraftvoll und leichtfüßig, wir singen, lachen, ich hänge wie ein kleines Kind an der Fensterscheibe und schaue mit großen Augen dem bunten Treiben draußen zu. Es sind gar nicht so viele andere Autos unterwegs, sondern Fußgänger, Fahrradfahrer, Pferdekutschen, Reiter, Schweine, Ziegen, Hühner… Bananenverkäufer preisen ihre Ware an. Kubas Straßen sind häufig leer von Karosserie, dafür sind eine Menge Menschen und Tiere unterwegs. Es gibt ein Transportproblem auf Kuba, viele suchen auf den Straßen Mitfahrgelegenheiten, wedeln mit ihren Kubanischen Pesos. Doch die Taxis halten nicht an, denn sie befördern Touristen, die mit härterer Währung zahlen. Manchmal ist das schwer auszuhalten, vor allem dann, wenn noch Platz im Auto ist und Menschen irgendwo im Nirgendwo in der brutzelnden Sonne auf einen fahrbaren Untersatz hoffen.
Matanzas wird mir im Gedächtnis bleiben als die Stadt der Stürze. Ein Sturz ereignet sich in unserer Casa, ich habe zwei Teller aus Porzellan in der Hand, stolpere über etwas und falle auf den harten Steinboden. Meine Hände sind zerschnitten, mein Ellenbogen blutet, aber viel schlimmer, beide Knie schwellen sofort dick an und werden blau. Es ist ziemlich schnell klar, dass ich meine Wunden nicht so schnell los werden würde. Die nächsten Wochen reise ich mit Handicap durch das Land.
Kurz vor meinem Sturz fällt uns Erick der Pizzabäcker vor die Füße. Erick lebte von 2003 bis 2011 in Kanada. Er ist 36 und wurde in Matanzas geboren. Schon früh ist ihm klar, dass er in seiner Heimatstadt ein Geschäft eröffnen wollte. Er kennt das Gebäude mit den hohen Treppen seit Kindertagen. Heute beherbergt es seine Pizzeria CUCAN. Von diesen Treppen nun fällt er vor unsere Füße, dieser verrückte Mensch! Er nimmt an, wir seien Kanadierinnen und lädt uns ein, seinen Betrieb anzuschauen, zehn Angestellte arbeiten für ihn. Der Laden, den Erick 2011 eröffnet hat, ist klein, aber voll. Ich darf hinter die Kulissen schauen. Erick stellt uns seine Mama vor, die gute Seele des Pizza-Hauses. Ich stelle ihm drei Fragen:
Ich: Erick, was liebst Du an Kuba?
Erick: Die Loyalität der Menschen.
Ich: Was hasst Du an Kuba?
Erick: Dass es nicht wachsen will.
Ich: Was fehlt Dir?
Erick: Marihuana.
Wir essen Ericks leckere Pizza. Dann lassen wir den clownesken Selfmademan alleine in seiner Backstube zurück und spazieren durch die abendlichen Straßen der Stadt. Wer dem touristischen Trubel entgehen will, ist in Matanzas gut aufgehoben. Die Stadt ist heruntergekommen und doch charmant und sehenswert.
Am nächsten Tag unternehmen wir einen Ausflug zum Rio Canimar (acht Kilometer östlich von Matanzas). Es ist Sonntag und auch die Kubaner erholen sich auf diesem schönen Stück Land. Der Fluss ist blau wie das Meer, die dschungelartigen Äste knorriger Mangroven hängen bis ins seichte Wasser. Zusammen mit drei Mädchen, die in Havanna für ein deutsches Unternehmen arbeiten, entscheiden wir uns, eine Bootsfahrt zu machen. Plötzlich regnet es in Strömen. Ich liebe dieses unentschlossene, kraftvolle Wetter auf Kuba. Immer mal wieder verdichten sich die Wolken und es regnet und regnet, dann hört es auf und die Sonne scheint wieder, so als sei einfach nichts passiert. Nach der Bootsfahrt werden wir zu einer kubanischen Geburtstagsfeier eingeladen. Es ist der 62. Geburtstag des Gastgebers, der unter Palmen gefeiert wird. Wir bekommen die so leckeren Bananenchips (die uns die nächsten Wochen kulinarisch begleiten werden), Yuca, Eistorte und Rum. Bevor das Spanferkel fertig ist, verlassen wir die Feier, um zurück in die Stadt zu fahren. Wir nehmen das erste Mal einen öffentlichen Bus. Ich bin nervös, denn wir hatten in Havanna Busse gesehen, die so übervoll waren, dass ich schon alleine beim Betrachten der vollgestopften Busse Angst bekam. Wir warten mit drei Kubanern, die Haltestelle schützt uns vor der Sonneneinstrahlung. Dann kommt der Bus, er ist noch leer, die Kubaner laden uns ein. Wir suchen uns weiter hinten einen Platz, von Station zu Station füllt sich der Bus. Ich schaue aus dem Fenster und kämpfe mit meiner Angst.
P. S. Eine Anekdote fällt mir gerade noch ein. Auf dem Weg zu unserem Taxi, das uns zum Rio Canimar bringt, kommen wir an einer Ruine vorbei. Ich gehe hinein und möchte sofort beginnen, kreativ zu arbeiten. Ich wundere mich im ersten Augenblick nicht wirklich über die vielen gebrauchten Kondome, die überall herum liegen. In der Ruine streunt ein Mann umher, noch immer wundere ich mich nicht. Frauke ist bereits in einem anderen Gefühlszustand und schaut mich skeptisch an. Auf einmal kommt von draußen ein Kubaner herein, stellt sich vor uns, holt seinen PIEP heraus und fängt an zu PIEP. Ich hätte ihn gerne ausgelacht, aber wir entscheiden uns doch zu gehen, schade um diesen so wunderschönen Ort. Später, auf dem Boot, erzähle ich den Mädchen aus Havanna davon. Sie erwidern nur, dass dies nicht wirklich ungewöhnlich sei.
Santa Clara
Von Matanzas fahren wir nach Santa Clara, Varadero wollen wir wegen der vielen Pauschal-Urlauber nicht besuchen. Doch ein kleiner Abstecher dorthin bleibt uns nicht erspart. Da wir diesmal den Touristenbus Viazul nehmen wollen und kein Taxi, fahren wir mitten in der Nacht in Matanzas los, um pünktlich in Varadero zu sein. Doch der Bus ist irgendwo kaputt liegen geblieben. Wir teilen uns mit zwei deutschen Touristen ein Taxi nach Santa Clara. Ich wünsche mir während der gesamten Fahrt, dass ich ihre Sprache nicht verstehen würde, denn mehr als hohle, unreflektierte Sätze à la: „Ich würde so gerne wissen, ob die Menschen hier den Sozialismus wirklich mögen.“ kommen aus ihren Mündern nicht heraus. Warum fragt man nicht einfach, wenn es einen interessiert? Oder: „Was ist euer Beruf, wenn ihr Zeit habt, einen Monat auf Kuba herumzureisen?“ Mein kurzes Stoßgebet lautet: ‚Bitte lieber Gott, mache, dass wir auf unserer Reise keinen Deutschen mehr begegnen oder wenigsten keinen dummen Deutschen.‘ Ich bin überrascht, dass Gott einer Atheistin zugehört hat. Wir werden verschont bleiben.
Ich sitze also im deutsch-überfüllten Taxi und schaue heraus, diesmal sind wir auf der Autobahn unterwegs, mehrere Stunden, überall Plantagen, Zuckerrohrfelder, landwirtschaftliche Betriebe und natürlich wieder Kutschen, Pferde, Fußgänger…
Santa Clara – eine Liebe auf den ersten Blick. Als wir in unserer schönen Casa ankommen, ist unser Zimmer noch durch eine kleine russische Familie aus der Nähe von Moskau besetzt. Wir kommen mit dem Familienvater ins Gespräch und lassen uns ein paar Tipps für die Stadt von Che Guevara geben. Währenddessen sitzt die kleine Tochter (2 Jahre alt) auf dem Steinboden und trollt sich mit dem Hund des Hauses, sie spricht natürlich russisch. Während des Spiels entfleucht ihrem süßen Mündchen ein uiuiui. Dieses uiuiui wird zu unserem geflügelten Ausspruch auf Kuba in besonderen Situationen.
Santa Clara präsentiert sich als Stadt neuer Trends und unersättlicher Kreativität. Hier testen jugendliche Randkulturen die Grenzen der kubanischen Zensur aus. Zum ungewöhnlichen Angebot gehört die einzige offizielle Drag Show im Mejunje. Wir können diese leider nicht sehen, statten dem Club aber dennoch einen Besuch ab. Doch erst besuchen wir Ángel in seiner Casa Hostal Florida Center. Wir essen im grünen, mit Kerzen erleuchteten Patio und trinken den unglaublich leckeren Cocktail des Hauses bei atmosphärischer Livemusik. Sowieso hat der Rum uns fest im Griff. Selbst, wenn wir aus purer Vernunft zum Mittag Cocktails ohne Alkohol bestellen, kommen die Getränke häufig doch mit Promille an den Tisch; für die Kubaner gehört einfach Rum in das Getränk, fertig.
Santa Clara ist die Stadt voller Pferdekutschen. Das Geklapper der Hufe auf dem Kopfsteinpflaster ist überall zu hören. An unserem letzten Tag in dieser wunderbaren Stadt machen wir einen Ausflug mit solch einer Kutsche in den Sonnenuntergang hinein zu einem Hügel, auf dem gerade Schäferhunde abgerichtet wurden. Der Blick über die Stadt ist traumhaft.
Alle Geschichten aus Santa Clara kann ich unmöglich erzählen, aber ich kann sie in aller Kürze in den Raum werfen: zum Beispiel den Schuhputzer, der meine roten Schuhe wieder glänzend machte, die Zeit am Che-Denkmal mit den Pionieren, der Ziege, dem dünnen Gaul, die Handball-trainierenden Mädchen, die 67-Jährige Kubanerin Paula, die seit zwei Jahren in Rostock lebt und in Santa Clara zu Besuch ist, die Schachspieler, die Feuerwehrmänner, die sich nicht fotografieren lassen dürfen, die Testosteron-befüllten Lastwagentaxis, Elroy und Ramon, die am Flugzeug spielen, Pia, die das renovierungsbedürftige Haus ihrer Großmutter bewacht und uns ihre Armreifen schenkt, der Bananen-LKW, der zentrale Platz, wo das öffentliche Leben tobt, der Gärtner, der uns einen Beutel voller frischem Gemüse schenkt, die abendlichen spontanen Tanzparties auf der Straße, unser Theaterbesuch – Willkommen im Zirkus ChéChe…
Zwei Geschichten jedoch möchte ich unbedingt mit-teilen:
Clara treffen wir in ihrem wunderschönen Haus, das 1930 gebaut wurde. Zuerst sehen wir ihren Ehemann Manolo durch das Fenster, er bittet uns hinein. Wir kommen ins Gespräch, Clara kommt aus der Küche dazu und erzählt über ihr Leben. Clara ist 64 Jahre alt, wurde in dem Haus, in dem sie mit uns steht, geboren, sie hat zwei Brüder, einer ist bereits gestorben, der andere lebt in den USA. Claras Vater war Anwalt, ihre Mutter Lehrerin. Clara ist Englischlehrerin an der Medizintechnischen Universität. Clara und Manolo haben eine 42-jährige Tochter, die in New Jersey (USA) lebt. Sie ist Innenarchitektin wie ihr Vater, findet aber keine gute Arbeit und möchte am liebsten zurückkehren nach Kuba. Clara erzählt die ganze Zeit mit strahlendem Gesicht über ihr Land. Clara liebt Kuba. Sie ist manchmal traurig über das schwarz/weiße Denken der Menschen. Einige ihrer Schüler wollen beispielsweise kein Englisch lernen, weil es die Sprache des Feindes sei. Sie erklärt uns das Schulsystem auf Kuba, das dem der ehemaligen DDR ähnelt. Es gibt Pioniere mit blauen Tüchern (die Kleinen), Pioniere mit roten Tüchern (die Größeren) und die Abiturienten, die unterschiedliche Uniformen tragen. Schuluniformen sind Pflicht auf Kuba. Alle kubanischen Kinder tragen eine Schuluniform, damit die Unterschiede zwischen Kindern armer und reicher Familien nicht sichtbar sind. Bildung ist für alle Kubaner kostenlos. Der Staat stellt alle Materialien für den Unterricht. Schulpflicht besteht bis zur 10. Klasse. Es gibt kaum Analphabeten. Clara beklagt, dass es dem Staat an Lehrern mangele. Sie verdienen recht wenig und suchen sich deswegen andere Arbeit. Kuba aber brauche Lehrer, dringend. Zum Schluss erklärt uns Clara noch, warum die meisten kubanischen Ehepaare nur ein Kind haben: „Mehr Zeit bleibt einfach nicht übrig für das anstrengende Leben.“ Als wir gehen, küssen Manolo und Clara uns ausgiebig und Clara lächelt verschmitzt:
„Kubaner mögen es, sich zu küssen!“
Im Club Mejunje treffe ich Keren Kmanwey mit ihrem Freund Alem My Frend. Beide bieten mir Zigaretten und Rum an, wir kommen in ein interessantes Gespräch. Keren ist Rapperin (Keren auf Soundcloud – sehr hörenswert). Sie ist 20 Jahre alt, aus Havanna, lesbisch. Sie ist verliebt in eine Amerikanerin, die sie nächstes Jahr in San Francisco heiraten will. Danach wird sie aber wieder zurückkehren nach Kuba, das ist möglich. Keren ist befreundet mit der Tochter von Mariela Castro, der Tochter von Raul Castro (Fidels Bruder und derzeitiger Staatschef). Mariela Castro ist Direktorin des Nationalen Zentrums für sexuelle Aufklärung – CENESEX und Aktivistin für die Rechte Homosexueller. Keren hält die Arbeit von Mariela Castro für scheinheilig, nichts als politisches Gerede. Sie sagt zu mir, dass der Castro-Clan Kuba fest in den Händen halte. Sie gäben den Schwulen, Lesben und Transsexuellen Freiheiten, damit diese nicht aufbegehren. Keren mag weder den Sozialismus noch den Kapitalismus. Sie kenne zu viele Menschen, die nach Miami (USA) ausgereist sind und dem Rausch verfallen, weil sie vorher verzichten mussten.
(Frauke)
Eine charmante Version von „Stille Nacht – heilige Nacht“ dringt an unser Ohr! Ob das kubanischer Humor ist?! Es wird ein ewiges Rätsel bleiben. Der Musik, ob live oder aus einer reproduktiven Quelle, kann man in Kuba nicht entkommen – nicht selten in unverwöhnter Qualität, aber natürlich auch hochgenussvoll. Trotzdem: wir fühlten uns schnell übersättigt. (Ich hätte mich nicht gewundert, wenn mein Reitführer im Nationalpark dafür sein Nokia 3310 genötigt hätte.)
Livemusik ist für die (touristische) Unterhaltung da und somit würde ich die Musiker zu den Handwerkern zählen, wie andere normale Berufe auch in diesem Land. Auffallend ist die Wiederholung des ewig gleichen Repertoires in mehr oder minder individuellen Variationen. Im Zusammenwirken dieser musikalischen Praxis, der omnipräsenten politischen Rhetorik und den Ikonen wird ein ganz bestimmtes Lebensgefühl erzeugt und kultiviert. Einerseits empfinde ich diesen sehr emotionalen Bezug zur eigenen (Volks)-Identität als sehr gesund. Andererseits gibt es in Kuba kaum Raum und Verständnis für davon Abweichendes. Bis vor ein paar wenigen Jahren besaßen viele noch keine technischen Geräte, geschweige denn Abspielmedien mit neuer Musik. Durch den geöffneten Datentransfer, ändert sich dies nun schlagartig – und alle, die können, stillen nun ihren Durst nach Schwermut, Enthemmung, Ferne.
Cienfuegos
Die Stadt an der Jagua-Bucht hat mich gelangweilt. Wenn ich an sie denke, denke ich an die Kunst, die wir gesehen haben. In Cienfuegos gibt es eine Menge Galerien, aber eines nach dem anderen.
Von Santa Clara fahren wir mit dem Taxi nach Cienfuegos, wieder mit einem Lada. Diesmal kann ich mich an unseren Fahrer nicht erinnern. Ich weiß aber, dass wir auf der Autobahn fuhren, die hier Autopista heißt. Verrückt. Es gibt weder viele Schilder, noch Werbung, Absperrungen usw. Die Autobahn ist eine drei – oder vierspurige Straße, mehr nicht. Auf dem Mittelstreifen ist manchmal ein Arbeiter beschäftigt, der mit der Machete das Gras kürzt, die ganz rechte Spur teilen sich Fußgänger (ganze Familien mit Kindern), Pferde und Reiter, Kutschen. Ich denke so oft an meinen kleinen Bruder, der Autobahnmeister wird, natürlich in Deutschland, natürlich mit ganz vielen Regeln und Sicherheitsbestimmungen. Auf Kuba gibt es diesen Beruf bestimmt nicht. Der Zustand der Straßen ist unterschiedlich schlecht. Aber die Autos fahren ja auch selten mehr als 80 Kilometer die Stunde.
In Cienfuegos brennt die Sonne. Wir bummeln ein wenig durch die Stadt, wie sooft auf der Suche nach Essen. Pizza ist das einzig schnelle Essen, das auf Kuba erhältlich ist. Sie ist billig. Aber sie kann auch zu schlimmem Durchfall führen. So passiert es mir, ich verzichte danach auf das Essen von Straßen-Pizza.
Kuba erlebte in den 1990er Jahren eine große Krise. Damals gab es nicht genug Lebensmittel für alle. Das Band zwischen Kuba und der ehemaligen Sowjetunion war gerissen, das Land wurde das Zuckerrohr nicht mehr los und konnte deswegen seine Einwohner nicht ernähren. Damals hungerten viele Eltern, damit ihre Kinder wenigstens eine Mahlzeit pro Tag bekamen. Die Kubaner kennen den Mangel. Für mich als Mensch aus dem Überfluss ist es manchmal sehr exotisch, wie wenig Lebensmittel es in den Einkaufsläden gibt oder wie spärlich das Angebot in einfachen Restaurants ist. Kuba muss auch heute noch 60 Prozent seiner Lebensmittel einführen, das ist eine Menge. Viele ehemalige Zuckerrohrfelder sollen aber bald anders landwirtschaftlich genutzt werden, der Prozess der Umstellung dauert. Es gibt viele Gemüsegärten, vor allem in Havanna, fast alle auch biologisch, doch außerhalb der Hauptstadt geht die Entwicklung viel langsamer voran. Als ich wieder zurück in Deutschland war, lese ich eine Meldung aus Kuba, es wurde berichtet, dass es seit geraumer Zeit einen erneuten Mangel gäbe, weil die Touristen überdurchschnittlich viele Lebensmittel verbrauchen würden. Spannend. Zum einen spült der Tourismus die wichtigen Devisen herein, auf der anderen Seite fressen die Touristen dem Staat Kuba sprichwörtlich die Haare vom Kopf.
Doch zurück zu Cienfuegos. In dieser Stadt geht es beschaulich zu. Die Nähe zum Meer lockt Urlauber in die Stadt, aber das Wasser ist nicht wirklich bezaubernd, es stinkt und ist an vielen Stellen voller Müll. Ja, es gibt eine schöne Ufer-Promenade, aber tagsüber ist es viel zu heiß, um sich dort aufzuhalten. Auf der Suche nach interessanten Plätzen landen wir in ein paar Galerien. Kuba ist voller Künstler, voller Maler, Kunstmaler. Sie malen erst das, was Touristen kaufen werden, aber außerdem gibt es die, die, die konzeptionell arbeiten und gestalten, mit verschiedenen Materialien, sehr kreativ, mit der nötigen Kritik am eignen politischen System oder anderen Gegebenheiten (wie z. B. der Religion).
In Cienfuegos fallen mir zum ersten Mal die Domino-Spieler auf der Straße auf. Immer zu viert, immer Männer. Das kubanische Dominospiel kann mitunter sehr hitzig und laut werden, ich kenne es nur aus dem Kindergarten und da war’s eher langweilig. Auf Kuba ist Domino neben Schach und Baseball und Boxen Nationalsport. Ich habe mir auch ein Spiel gekauft, doch noch keine drei Mitspieler gefunden; bis jetzt.
(Frauke)
Tür an Tür zu unserer Casa fanden wir dafür etwas anderes: einen Ort von Geheimnistuerei. Der Konspiration. Beim nächtlichen Passieren des einsehbaren vorderen Hausbereichs, das gängigerweise als repräsentatives Wohnzimmer mit Familienfotos, Heiligengegenständen und extrem kitschigen Trophäen gestaltet ist, gab sich unseren Augen ein Foyer preis. Ein Holztisch. Ein Telefon. Zu der stillen Szene ergänzten sich unserem Blick drei junge Männer. Einer massierte dem anderen die Schulterpartie mit gekonnter Bewegung. Das wollten wir auch. Unser Gespräch und die Verhandlungen gestalteten sich kompliziert und wir ahnten nicht warum. Schon wollten wir uns mit aufgeriebenen Nerven davonmachen, da wendete sich das Blatt. Wir wurden hereingebeten, die Fensterläden verschlossen und die Eingangstür bewacht. Als dann auch noch das Telefon schrillte, waren wir endgültig im Matrixfeeling. Der Masseur gab uns nachdrücklich zu verstehen, dass dies hier nicht geschehen ward – und, dass das Schlafen mit Kopfkissen Mord sei.
Nach zwei ruhigen Tagen in Cienfuegos peilen wir unser nächstes Ziel an: Trinidad. Auf dem Weg dorthin besuchen wir die Wasserfälle des El Nicho. Diese befinden sich in der Sierra del Escambray (das ist die zweitgrößte Bergkette Kubas), ziemlich genau in der Mitte des Dreiecks von Cienfuegos, Trinidad und Santa Clara. Am Tag zuvor hatten wir ein taxi colectivo gebucht. Überpünktlich steht dies vor unserer Casa, ein Chevrolet in mattem Schwarz, eine kubanische und eine brasilianische Flagge an der Frontscheibe. Der Fahrer ist jung, ich sitze neben ihm, Frauke auf dem Rücksitz. Ein paar Ecken weiter sammeln wir unsere Mitfahrer ein, ein spanisches Pärchen. Während des gesamten Monats unserer Kubareise bin ich erstaunt ob der Pünktlichkeit der Kubaner. Ist man miteinander verabredet, kommen die Kubaner immer überpünktlich. Das imponiert mir.
Zurück aber zu unserer Fahrt zum El Nicho. Zuerst glaube ich, dass der Fahrer alle Menschen auf unserer mehrstündigen Tour kennt. Er hupt ständig. Dann verstehe ich irgendwann. Da die Straßen nicht nur von Autos benutzt werden, sagt er mit seiner schrillen Hupe: „Hallo, hier komme ich und mein schöner Chevi, Leute, macht mal Platz.“ Viele Serpentinen später, wir sind ja im Gebirge, kommen wir an am El Nicho Wasserfall. Wir schließen uns einer Gruppe an, deren Führerin fließend Deutsch spricht, Miriam, 56 Jahre alt. Jeden Morgen wird sie zusammen mit den anderen Führer auf einem alten russischen LKW aus Cumanayagua hinauf zu ihrem Arbeitsplatz am Wasserfall gefahren. Früher war sie Spanisch-Lehrerin in Cumanayagua, heute begleitet sie internationale Touristen durch die ursprüngliche Natur Kubas.
Miriam freut sich auf ihre Rente in vier Jahren. Das ist auf Kuba so, wie es auch in der DDR war, die Frauen gehen mit 60 in Rente, die Männer mit 65 Jahren. Miriam möchte als Rentnerin nach Deutschland reisen. Sie hätte als junges Mädchen einmal die Chance dazu gehabt, erzählt sie mir, aber sie fühlte sich damals zu jung. Anstatt zu reisen, pflegte sie seitdem deutsche Brieffreundschaften, zum Beispiel mit einem Mann aus Schwerin, sie wisse bis heute die Adresse auswendig. Leider sei der Kontakt abgebrochen. Dafür hat sie vor ein paar Jahren am El Nicho eine Frau aus Hamburg kennengelernt, mit der sie mittlerweile gut befreundet ist. Während sie mir all das erzählt, lächelt mich die sportliche, kleine Dame, die einen ähnlichen Dutt trägt wie ich, ununterbrochen an. Wenn ich an sie denke, muss ich lächeln.
Miriam also bringt uns zum Wasserfall, auf dem Weg zeigt sie uns verschiedene Pflanzen (Tabak z. B.) und erzählt einiges über die Nationalpflanze Kubas, die Palme. Angekommen am Wasserfall, spüre ich sofort die Kraft dieses Ortes. Die Gruppe steigt noch etwas höher hinauf, ich bleibe wegen der Handicap-Knie auf dieser Höhe und gehe in den Bergsee vor dem Wasserfall baden. Wow. Das beste Badegefühl seit Jahren. Das Nass ist klar und kühl und kraftvoll. Neben mir sitzt eine kubanische Frau im Wasser und singt, Jungs springen von den Felsen. Ich erinnere mich so gerne an diesen energetischen Augenblick; ohne Kamera.
Später fahren wir in unserem Chevi nach Trinidad. Noch einmal halten wir an, um Berghonig zu kaufen, einen Liter für knappe drei Euro. Ich liebe diesen Honig. Jeden Tag koste ich davon – hier in Deutschland – er schmeckt nach Sonne, den Bergen und der Freundlichkeit Kubas.
Trinidad
Denke ich an Trinidad, denke ich an unseren ersten Strandausflug, viele, viele Kinder, Baseball und unseren ersten Zigarrenkauf. Trinidad ist eine recht kleine Stadt, ca. 70.000 Einwohner und es gibt 500!! Casas, die von Touristen gemietet werden können. Das sind wahnsinnig viele. Überall drängen sich Touristen, die Restaurants buhlen um Aufmerksamkeit, es gibt viel touristischen Schnickschnack zu kaufen. Trinidad ist bei weitem kein Geheimtipp mehr. Wir wohnen in einer ärmlichen Straße, in der obersten Etage einer grün angestrichenen Casa. Unsere Vermieter sind wohl sehr geschäftstüchtig, denn ihr Haus ist für kubanischen Standard luxuriös, vor der Tür steht sogar ein ziemlich modernes Elektromoped.
Beim ersten Spaziergang über das alte Kopfsteinpflaster Trinidads finden wir die Galerie von Yuniesky. Yuniesky malt Fische. Wir sprechen lange miteinander, er sagt zu mir: „Ich mag das Fischen mehr als das Malen.“ Er war jahrelang Fischer, irgendwann konnte er davon seine Familie nicht mehr ernähren. Also begann er zu malen. Aber etwas stimmte nicht. Ein Freund riet ihm, er solle das malen, was ihm sehr am Herzen liegt – von dem Moment an malte er Fische und Fischer. Ich mag seine Kunst von Anfang an sehr. Ein paar Tage später schneien wir wieder in seine Galerie, er hatte mir beim letzten Besuch versprochen, dass er ein Werk fertigstellen werde, dass ich mir ausgesucht hatte. Just an diesem Tag verliebe ich mich aber in ein anderes Bild, ein pinkes Fischewerk auf Holz gemalt. Ich kaufe es, um es meinem angelwütigen Bruder zu schenken. Ich musste Yuniesky versprechen, es nicht selbst zu behalten.
(Frauke)
Das ist die Quintessenz, die ich mir zu Yuniesky aufgeschrieben habe:
Mache deine Passion zu deiner Kunst.
Selten gehen wir nachts noch aus – das Land fordert uns einfach sehr. Aber es gibt natürlich Ausnahmen, in Trinidad besuchen wir auf Empfehlung die Bar Yesterday. Dort trifft sich auch an diesem Abend die jugendliche Subkultur weit weg von Salsa und Rumba, zur Musik einer Coverband, die vor allem Songs aus den 80er und 90er Jahren des mittlerweile letzten Jahrtausends spielt. Das Highlight unseres Abends ist die 69-jährige Zumara. Sie ist spindeldürre, mit jedem in der Bar bekannt, raucht eine Zigarette nach der anderen, hat mehrere Perücken dabei und tanzt sphärisch nach dem einen oder anderen Song. Frauke schenkt ihr roten Nagellack, sie ist verliebt in ihre Kamera. Es ist so schön, sie in ihrem Freisein zu beobachten. Wir treffen Zumara am nächsten Tag sogar zufällig wieder und haben das Gefühl, sie ist unsere Freundin.
Wir sind schon einige Zeit auf Kuba unterwegs, als wir uns den ersten Tag am Strand gönnen. Wir fahren mit einem kleinen Bus (schon wieder so überfüllt, dass es eng um mich und meine Angst wurde) ungefähr zehn Kilometer zum Playa Ancón. Wir kaufen uns jeder eine Liege unter einer Palme und starren in das Blau der Karibik. Wir bleiben ein paar Stunden, lesen, baden im lauwarmen Wasser, trinken eine Kokosnuss und fahren wieder zurück nach Trinidad.
Am Sonntagmittag ist bei unseren Nachbarn im Evangelischen Zentrum ordentlich was los. Eine Menge Kinder stehen auf der Straße vor dem Zentrum und singen, danach bekommen sie Torte und Süßigkeiten, die sie auf dem Bordstein genießen. Anlass für das kleine Fest ist ein Zertifikat, das sie an diesem Tag erhalten. Sie sind so stolz, so auch auch Marco, 7 Jahre alt. Er zeigt mir sein Zertifikat, will, dass ich ein Foto von ihm mache. Ich habe meine Polaroid-Kamera dabei und fotografiere. Kurze Zeit später scharrt sich ein ganzer Haufen Kinder um mich, sie alle fordern Polaroids. Marco kann im Übrigen mit seinen nur-sieben-Jahren zwinkern wie ein Großer. Der Machismo ist zu Hause auf den Straßen Kubas. Heiße Temperaturen – heiße Männer? Sie sind gierig die Männer ja, aber dabei oft so plump, dass das feine Spiel der Erotik für mich leider komplett verloren geht.
Auf Kuba wird eine Menge Sport getrieben, es gibt unzählige Sporteinrichtungen und die Massensportbewegung ist ein unlösbarer Bestandteil, der seit der Revolution 1959 zu großen Erfolgen des Landes auf diesem Gebiet geführt hat. Seitdem hat Kuba über 140 olympische Medaillen gewonnen. Ebenso ist die weltweit vorherrschende Stellung in Disziplinen wie Boxen, Baseball und Volleyball eine Tatsache. Es gilt: Sport ist ein Recht des Volkes. Das Problem allerdings ist, dass sich eine Menge Spitzensportler absetzen, um ihr Geld im Ausland zu verdienen. Aber zurück zum Breitensport. Fast täglich beobachten wir kubanische Kinder, Männer, Frauen dabei, wie sie Sport treiben, sei es in Schulen, auf Sportplätzen, in Stadien, in Hinterhöfen, auf der Straße. In Trinidad verbringen wir einige Zeit in einem Baseball-Stadion am Rande der Stadt, nachdem wir durch eine Plattenbausiedlung gelaufen waren. Dort trainieren wirklich alle Altersklassen miteinander und nebenbei auf den Rängen sogar auch noch Sportler anderer Sportarten.
Kurz bevor wir Trinidad in Richtung Camagüey verlassen, kaufen wir Zigarren. Irgendwie haben Frauke und ich das Gefühl, wir müssen dies tun, weil es einfach dazugehört, wenn man auf Kuba zu Besuch ist. Unser Vermieter navigiert uns zum Haus eines Freundes. Seine Frau öffnet die Tür, vorne im Haus gibt es wieder diesen typischen Souvenir-Schnickschnack zu kaufen. Wir werden in ein Hinterzimmer gelotst. Es ist das Schlafzimmer. Der Freund zeigt uns Bilder seines Vaters, der wohl in einer Zigarrenfabrik arbeitet. Danach holt er eine Sporttasche unter dem Bett hervor, stellt sie ab und öffnete sie. Er zeigt uns verschiedene Schachteln, macht uns natürlich ein unschlagbares Angebot. Wie sollen wir da nicht zuschlagen? Wir kaufen drei verschiedene Zigarren-Sorten zu einem guten Preis, sind uns aber den gesamten Rest unserer Reise nicht sicher, ob wir wirklich gut gehandelt hatten, immer wieder wird von Fälschern berichtet. Wer auf Nummer sicher gehen will, muss Zigarren und Rum in den öffentlichen Shops mit Quittung kaufen.
(Frauke)
Das Glas der uns aufgesetzten Touristenglocke war nirgends so stark und zeigte sich so zerbrechlich wie in dieser ambivalenten, nach Dreck und Seife riechenden Stadt. Der Kontrast zwischen dem genussvollen Erleben unserer Straße, dem touristischen Stadtzentrümchen und dem Plattenbaubezirk hätte größer nicht sein können. In unserer Straße fand das pure Leben statt und wir waren sofort mittendrin. Es wurde gefeiert, gestritten, gespielt und geneckt. Dort wohnte auch Catalina, deren Haut von lebenslanger Feldarbeit gegerbt war. Sie wollte erst nicht aus ihrem Nähstübchen herauskommen und kokettierte mit der Kamera. Ich entschloss mich zu einem zweiten Anlauf. Und tatsächlich begann sie von den großen Verbesserungen zu erzählen, die die Revolution mit sich gebracht hätte. Sie wiederholte kraftvoll und mantren-artig Aussagen, die uns schon so häufig auf den Wänden Kubas begegnet waren. Mit größter Dringlichkeit schrieb sie ihre Adresse und ihre Lebensüberzeugungen auf: Amo al govierno / Revolucionario/ y al govierno venzulano/ HASTA LA MUERTE.
Camagüey
Wir fahren mit dem Bus nach Camagüey. Bevor wir einsteigen, müssen wir unser Gepäck einchecken, die Kosten dafür sind nicht im Bus-Ticket inbegriffen (immer mal wieder verdoppeln sich einfach Preise, normal im touristischen Kuba!) Der Bus ist halb voll, es ist kalt, weil die Klimaanlage zu hoch eingestellt ist. Das Phänomen begegnet uns übrigens während unserer Reise oft. Auf der Strecke halten wir auf einer Art Rastplatz an und machen eine 45-minütige Pause. Am Busbahnhof in Camagüey (wir sind jetzt 530 Kilometer von Havanna entfernt) holt uns ein Fahrer ab, er hält ein Schild, auf dem wohl Antje und Frauke stehen sollte, hoch. Wir erkennen unsere Namen mit ein wenig gutem Willen.
Wir wohnen in der Casa von Jesus (36) und Estralita (26). Nachdem wir ausgepackt haben, spazieren wir durch den Ort – Kirchen, Geschäfte, Einheimische, kaum Touristen. Am Abend treffen wir Manfred aus Wien in einem Park. Er schreibt gerade E-Mails. Das mit dem Internet ist ja so eine Sache auf Kuba. Fast niemand besitzt überhaupt einen Computer oder ein Laptop. Die Menschen gehen mit ihren Smartphones ins Internet und zwar in einer Art Freiluft-Internetcafé. An öffentlichen Plätzen hat die Regierung WLAN-Antennen aufgestellt. Mit einer Internetkarte, die man im Büro von ETECSA (der Behörde für Telekommunikation) kauft, kann man sich einwählen in das WWW. Das Internet kommt übrigens aus Venezuela via Unterseekabel. Die Verbindung ist ganz stabil, abgerechnet wird im Stundentakt. Die Kubaner benutzen vorwiegend Skype, um mit ihren Angehörigen auf der ganzen Welt zu telefonieren.
Um das Internet hat sich eine kleine eigene Wirtschaftswelt aufgetan: in großen Parks verleihen Geschäftemacher Headsets zum Telefonieren oder verkaufen Handykarten zum doppelten Preis. Und dann ist da noch El Paquete Semanal. Das ist Kubas Spotify, Netflix, Sky usw. Wo der Content heruntergeladen wird (einige vermuten, er kommt einmal in der Woche von Miami nach Havanna), weiß niemand genau, wichtig ist für die Kubaner auch nur, dass er da ist. Jede Woche gibt es ein Offline-Internet auf Festplatte – darauf alle möglichen digitalen Inhalte: Telenovelas, Baseballspiele, Filme, Serien, Musik, Spiele, Handy-Software – 1000 Gigabyte. Die Inhalte können nach Gustus erworben und auf Fernsehern (die es wirklich überall gibt) oder Musikanlagen abgespielt werden.
Aber zurück zu Manfred. Ein Jahr wird er in insgesamt in Camagüey bleiben, um spanisch zu lernen, er ist Soziologe, hat viele Freunde in der kubanischen Kunstszene. Mit ihm sprechen wir über die 1990er Jahre, als Kuba versuchte, Herr über das Aidsvirus zu werden. Damals wurden die, die sich mit dem Virus angesteckt hatten, in eigenen Krankenhäusern separiert (interniert). Manche steckten sich sogar absichtlich mit dem Virus an, um in diese Krankenhäuser eingeliefert zu werden, denn dort gab es ja Essen. Vielen war nicht klar, welche Ausmaße die Krankheit auf ihr Leben haben würde. Diese rigide Maßnahme und das sehr frühzeitig etwas gegen Mutter-Kind-Übertragung sowie Übertragung durch Bluttransfusionen getan wurde, führte dazu, dass auf Kuba mittlerweile die HIV-Rate nach Regierungsangaben unter 0,2 % liegt, eine der niedrigsten der Welt.
Manfred gibt uns auch den Begriff Monatsökonomie mit auf den Weg. Gekauft wird das, was gerade da ist, in Mengen, die für einen Monat reichen. Wir bitten ihn abschließend um einen Ausblick in die Zukunft Kubas. Düster, vermutet er. Die Jungen sehnen sich nach Konsum…
Unser zweiter Tag in Camagüey ist verregnet, von vorne bis hinten, von links nach rechts. In den Momenten ohne das Nass von oben streifen wir ein wenig durch die Stadt. Wir fallen mal wieder einem Schlepper in die Hände. Jemand, den man nach dem Weg fragt und der einen dann durch die halbe Stadt zu einem Restaurant führt, dass es nicht wert ist. Aber auf so einer Reise lernt man so viel dazu. Einmal Fehler machen erlaubt, zweimal Fehler machen ist noch okay, dann ist aber Schluss. Ich bin mir sicher, Frauke und ich können mittlerweile alle, okay, fast alle kubanischen Fettnäpfchen umgehen. Doch auch diesem Schlepper in Camagüey können wir noch etwas abgewinnen. Durch ihn kommen wir in den Genuss, bei einem Boxtraining zuzuschauen.
(Frauke)
Immer wieder magisch angezogen, war ich von den Friseursalons. Diesen wundervollen Farben, den Frauen unter den spacigen Trockenhauben und der oftmals provisorischen Raumgestaltung wollten meine Augen einfach nicht überdrüssig werden. Würde ich in Kuba geboren: Ich wäre Friseuse. Für ein paar C.U.C.s kam ich in Camague in den ersten Genuss zweier Besuche. Der Zweite war dann passend am Tag der Wahl Trumps zum amerikanischen Präsidenten – nach dem Motto: Hänge ich mich jetzt auf oder gehe ich zum Friseur? In Camagüey kehrten wir spontan in einen hochherrschaftlichen Salon ein, der von einer älteren Dame geführt wurde. Währenddem sie von Kérastase-Produkten schwärmte, legte sie ihre Hand ganz nebenbei auf meiner Schulter ab.
Santiago de Cuba
…war die östlichste Stadt unserer Reise und ist im Übrigen die zweitgrößte Stadt auf Kuba. Von Camagüey fahren wir wieder mit einem Viazul-Bus nach Santiago (sechs Stunden), wir machen Zwischenstopp in Holguín. Ursprünglich wollte wir dort jemanden besuchen, schaffen dies aber aus akutem Zeitmangel nicht. Als wir in Santiago ankommen, ist der Himmel wolkenverhangen, die Hitze drückend, der Verkehr laut. Wir wohnen auf einem Hügel im historischen Zentrum.
An dieser Stadt scheiden sich die Geister. Sie besticht durch einen kosmopolitischen Mix afro-kubanischer Kultur. Santiago de Cuba liegt näher an Haiti und der Dominikanischen Republik als an Havanna. Frauen fächern sich tagein tagaus kühle Luft zu. Es ist heiß, laut, stickig. So viel Verkehr habe ich in keiner anderen Stadt auf Kuba gesehen, gerochen, gehört. All die Motoren knattern so unglaublich laut. Dann ist da aber auch diese Schönheit, wenn man auf dem Hügel der Stadt steht und das Gebirge in der Ferne sieht: Santiago de Cuba wird dramatisch von der wilden Sierra Maestra eingerahmt, das Gebirge, in dem sich Fidel Castro mit seinen Genossen während des Guerillakampfs der Kubanischen Revolution versteckte.
Nur zwei Tage bleiben wir in der Stadt, viel zu kurz, um eine wirkliche Beziehung aufzubauen. Die Stadt ist schwer, auf sie muss man sich einlassen, mit Geduld und Muße, die haben wir dieses Mal nicht.
Ob der wenigen Zeit gönnen wir uns eine doppelstöckige Stadtrundfahrt und landen auf dem Cementerio Santa Ifigenia – lebend natürlich, tot hat mittlerweile Fidel Castro diesen Friedhof mit zirka 8.000 Gräbern erreicht. Es könnte so aussehen, als haben wir eine Friedhofstour durch Kuba unternommen. Ganz so würde ich es nicht beschreiben, aber ja, wir haben viele davon besucht, weil Friedhöfe zum einem geschichtsträchtige Orte sind und zum anderen Kunstplätze. Und: Kubas Friedhöfe sind die schönsten, die ich bisher in meinem Leben gesehen habe (und das waren reichlich!)
Auf dem Friedhof befindet sich das Mausoleum des Nationalhelden José Martís (1853–1895). Das sechseckige Grabmal wurde 1951 während der Batista-Ära errichtet und so angelegt, dass die Sonne jeden Tag auf Martís Holzsarg fällt, der würdevoll in eine kubanische Flagge gehüllt ist. Auf diese Weise folgte man einem Gedicht des Nationalhelden, in dem er sagt, er wolle nicht wie ein Verräter im Dunkeln sterben, sondern mit dem Gesicht in der Sonne. Das Mausoleum wird rund um die Uhr bewacht, regelmäßig findet eine pompöse Wachwechsel-Zeremonie statt.
Wer war dieser Batista? Fulgencio Batista regierte auf Kuba zwischen 1940 und 1958, die letzten Jahre diktatorisch durch einen Putsch. 1958 floh er aus Kuba mit seinen geretteten Millionen in die Dominikanische Republik und begann ein neues Leben. Fidel Castro und seine Genossen stürzten ihn während der so genannten Kubanischen Revolution. Unter der Diktatur Batistas und seines Geheimdienstes wurden nach Angaben der Castro-Regierung ca. 20.000, nach anderen Quellen zirka. 2.000 Menschen, oft nach schweren Folterungen, ermordet. „Viele der Leichen wurden aus fahrenden Autos auf die Straße geworfen, um die Bevölkerung abzuschrecken.“ (Quelle: Wiki) Batista hatte mit seiner US-freundlichen Politik die Zuckerinsel in ein Dorado für Kapitalanleger, Casinobarone und Mafiapaten verwandelt. „Für die Demokratien blieb Batista ein wichtiger Verbündeter: Er war der letzte Vorposten gegen den Kommunismus vor der Haustür der USA. Die hingen auch am Zuckerimport der kleinen Insel und bereicherten sich an der Tabakproduktion. Die Bundesrepublik verlieh Batista im Mai 1957 das Bundesverdienstkreuz, die USA hielten bis März 1958 dem Diktator die Treue – erst dann verhängten sie ein Waffenembargo.“ (Quelle: Batista)
In Santiago de Cuba versuchen wir einen Flug zurück nach Havanna zu bekommen. Das ist einfach nicht möglich. So buchen wir wieder einen Bus, 900 Kilometer zurück in Kubas Hauptstadt. Wir wollen diesmal nicht mit dem Viazul, sondern mit einem kubanischen Unternehmen fahren. Die Tickets besorgen wir in einem großen Hotel der Stadt. Für einige Zeit sitzen wir wartend am Pool, da sind sie: Männer, zwischen 50 und 65, in Badehosen und mit herunterhängenden Bäuchen und Goldketten, an ihrer Seite junge Kubanerinnen, die Cocktails schlürfen, keine fünf Meter von uns entfernt. Ich möchte mich übergeben.
(Frauke)
Wir reisten mit einem sehr frühen Bus. Das Aufstehen mit den tausend krächzenden Hähnen vor Tagesanbruch ward belohnt mit einer Fahrt durch ein tüchtiges Land, das voller Arbeitseifer aufsteht und sein Schicksal hingebungsvoll und solidarisch trägt. Wir passierten immer wieder Städtchen und endlose Weiden. Eine solche Fahrt – egal wie früh, egal wie lang, war mir Entschädigung für alle Strapazen. Mich ergriff ein paradiesisches Ewigkeitsgefühl als die Sonnenstrahlen das weite Land wachtasteten und die erhabenen Rinder, jede Königspalme und den einfachen Menschen in feuchtes Gold tauchen. Ich verliebte mich neu. In diese Weite, das Ursprüngliche, das ganz alltägliche Schaffen in Kuba.
Havanna
Vierzehn Stunden dauert unsere Bus-Fahrt von Santiago de Cuba nach Havanna, um 22 Uhr kommen wir in der Hauptstadt an, haben aber keine Bleibe. Ich frage unseren Reisebegleiter nach einer erschwinglichen Übernachtungsmöglichkeit, er sagt: „Kein Problem, wir sind hier auf Kuba.“ Wir wohnen für eine Nacht im Centro Habana, in einer relativ teuren Casa. Es ist spät, am nächsten Tag werden wir uns aufmachen in den Westen von Kuba.
Die Casa befindet sich im dritten Stock eines Wohnhauses im Centro, dem traditionellen Zentrum von Havanna und dem dicht besiedeltsten Stadtteil. Unsere schweren Koffer tragen die Vermieter hoch. Diese freundlichen Menschen. Unser Nachtort ist eine Absteige, doch, wir sind müde und schlafen fest.
Der nächste Tag – Sonntag. Wir rollen mit unseren Koffern durch den Stadtteil, frühstücken dann. Die Straßen der Hauptstadt sind voll, die Geschäfte geöffnet. Wir suchen ein Taxi, das uns zum Busbahnhof fährt, mittlerweile kennen wir die Preise relativ gut und verhandeln geschickt. Angekommen, werden wir sofort wieder zu einem taxi colectivo gelotst. Für ein paar mehr CUC schneller und stressfreier nach Pinar del Río. Diesmal fahren wir in einem modernen Wagen, das erste Mal. Im Auto befinden sich Sicherheitsgurte (Frauke ist irritiert, ich erinnere mich noch gut an die ersten Tage, als sie in jedem Wagen nach den Gurten Ausschau hielt.) Auf dem Tacho stehen tatsächlich 130 Kilometer die Stunde. Abenteuerlich.
Pinar del Río
In grüner Landschaft gelegen und von einem wirtschaftlichen Aufschwung begünstigt, der von ihrer Nähe zum weltweit ertragreichsten Tabakanbaugebiet herrührt, strahlt die Stadt Pinar del Río eine eigenartige Energie aus, sie wirkt zufrieden. Ihre Architektur ist bunt und faszinierend. Pinar del Río entstand als eine der letzten Provinzhauptstädte der Insel. Die Stadt überstand mehrere verheerende Wirbelstürme.
Pinar del Río lächelt, selbst wenn ein Platzregen die Geschäftigkeit kurz unterbricht. Ich bin sehr gerne an diesem Ort. Da kaum andere Touristen unterwegs sind, haben wir die Chance, in das tägliche Leben der Kubaner im Westen einzusteigen, wir treiben uns herum auf dem Blumenmarkt, schauen beim Eierverkauf zu, besuchen einen Tätowierer, streifen durch mehrere Polikliniken, gesellen uns zu Rentnern in einem Altenheim, fahren zu einer Tabakplantage…
Meine erste Pinar del Río-Erinnerung ist ein heftiges Gewitter mit hellen Blitzen und lautem Donner. Die Straßen stehen nach Minuten unter Wasser, wir müssen uns lange vor dem Nass schützen. Meine zweite Erinnerung ist die an einen klaren Sternenhimmel. Eines Abends sitzen wir auf dem Dach unserer Casa, ich bin schon ziemlich angetrunken, wir schaukeln in unseren Stühlen, ich sehe so viele Sterne wie selten in meinem Leben, die Luft ist lau und ich glücklich.
In fast jeder kubanischen Stadt gibt es neben allerlei öffentlichen Einrichtungen zur Bildung oder des Gesundheitswesens ein Kulturhaus. Wir hatten schon mehrere besucht, hier in Pinar wohnen wir einer Veranstaltung bei, die wirklich putzig daherkommt. Es ist ein Konzert angekündigt. Auf den Bänken sitzen ältere Herrschaften, vor allem Männer. Sie warten gespannt, singen und tanzen schon vorher. Als das Konzert losgeht, sind alle aus dem Häuschen – und dann treten einzelne Männer aus dem Publikum an das Mikrofon und singen schnulzige Liebeslieder. Herzig.
Herzig waren auch zwei andere Herren, die ich in einem Park treffe. Der eine 98 Jahre alt, der andere in den Siebzigern. Der ältere von beiden stellt beide vor, erzählt über die spanischen Vorfahren und dass er sein ganzes Leben Sport gemacht habe. Dabei fuchtelt er mit seinem Schirm umher. Am Ende der Begegnung fragt er mich nach den Namen von ihm und seinem Freund. Ich weiß es nicht mehr und schäme mich. Er wiederholt beide Namen langsam und ich muss sie wiederholen. Dann lächelt er zufrieden. Ich darf ein Foto machen. Nur weiß ich die Namen heute leider auch nicht mehr, weil ich vergaß, sie aufzuschreiben. Dafür erinnere ich mich an das Gesicht eines kleinen Jungen, das in einem alten Körper steckt und an eine Persönlichkeit, die etwas einfordert. Wieder bin ich imponiert.
Apropos Schirm. Mein Polaroid, das ich in Pinar gemacht habe, heißt Schirmherrschaft. All die Wochen in Kuba war ich auf der Suche nach diesem tollen Schirm mit Aktmotiv, aber ich konnte ihn nicht finden. Wenn jemand, der das hier liest, solch einen Schirm irgendwo auf der Welt sieht, der kaufe ihn mir bitte, unbedingt.
(Frauke)
Pinar del Rio ist bekannt dafür, von den qualitätvollsten Anbaugebieten für Tabak umgeben zu sein. Ausdrücklich warnt uns der Reiseführer davor, eine andere als die dort angegebene Farm zu besichtigen. Das versuchten wir nachdrücklich, hatten am Ende aber doch das Gefühl, dass unsere Taxijungs ihre Familie mit unserem Besuch beehren wollten. Wieder einmal mussten wir das Abenteuer nicht erfinden und uns in humorvollem Optionen ändern üben.
Unsere Taxijungs mussten immerhin die Abmachung einschlagen, morgens sechs Uhr aufzubrechen, denn wir wollten das Morgenlicht einfangen. Und das allererste Mal war unser Taxi in Kuba nicht pünktlich (was definitiv nicht mit der Uhrzeit zusammenhing). Nun saßen wir also in der Morgendämmerung am Tisch eines Tabakbauern mit exzellenten Englischkenntnissen, tranken starken Espresso und pafften an unserer ersten Zigarre. Diese Kombination zog mir die Beine weg. War es dieser Zustand, der uns wiederholt einen recht stolzen Zigarrendeal ohne Quittung hat eingehen lassen, den wir schon auf der Heimfahrt bereuten, selbst wenn er gut war, weil es sich nicht um traditionell gefälschte Ware handeln sollte. Sicher stimmt, dass sie absolut handgefertigt und selbst importiert daherkommen.
Viñales
Von Pinar del Río nach Viñales gönnen wir uns wieder ein Taxi, einen Lada, wir waren das Gefährt ja schon irgendwie gewöhnt. Mit ihm fahren wir durch das wunderschöne Valle de Viñales. Hohe Kiefern un Kalksteinfelsen erheben sich wie riesige Heuhaufen über Tabakplantagen – der Parque Nacional Viñales ist eine der schönsten Naturlandschaften Kubas. Das elf mal fünf Kilometer große Tal ist in die Gebirgskette der Sierra de los Órganos eingebettet. Wegen der Felsen und der traditionellen Architektur der hiesigen Farmen und Dörfer wurde es 1999 zum Welterbe der Unesco erklärt.
In Viñales trinken wir die beste Piña Colada. Wir bestellen sie in einer Bar an der örtlichen Hauptstraße (die Stadt ist wirklich klein). Der Kellner bringt uns zwei Gläser mit den Cocktails und dazu eine Flasche weißen Havanna Rum. Es ist Nachmittag, wir sollen selbst entscheiden, welchen Grad der Alkoholisierung wir uns gerade wünschen. Am Tisch nebenan sitzt ein französisches Pärchen und amüsierte sich, fragt aber auch gleich, was wir denn da bestellt hätten.
Von Viñales aus machen wir mehrere Ausflüge, einen zum Cayo Jutías. Doch vorher möchte ich noch erwähnen, dass mir dieser Ort irgendwie leid tut. Er wird heimgesucht von Touristen, man tut gut daran, zu versuchen, ihnen aus dem Weg zu gehen. Der Ort und die Umgebung verleiten zum Hierherkommen, verständlich, dass alle Einwohner davon ein Stück abhaben wollen, aber gesund und vor allem nachhaltig kann dies nicht sein. Es gibt für die vielen Aktivitäten (Klettern, Wandern, Reiten usw.) kaum Regeln, fast alles ist möglich und das nutzen die Menschen (aus). Wir sind auch hier, ja. Ich bin mir aber nicht sicher, ob der Ort auch auf meiner Route gestanden hätte, wäre ich alleine unterwegs. Aber so eine Reise zu zweit lebt eben auch von Kompromissen.
Unser zweiter Strandtag ist eine Perle. Ein drei Kilometer langer Sandstreifen an der Nordküste von Cayo Jutías gilt als der am besten erschlossene unbekannte Strand. Diese winzige, von Mangroven bestandene Insel liegt 65 Kilometer nordwestlich von Viñales und ist über einen kurzen Damm (bei uns sind es die sieben Brücken, summ) mit dem Festland verbunden. Die Fahrt zum Strand ist abenteuerlich. Wir fahren mit einem roten Oldtimer, die Löcher in der Straße sind unzählbar. Wir brauchen für die 65 Kilometer über zwei Stunden, es schaukelt und holpert, nichts für den flauen Magen. Doch am Strand angekommen, werden wir reichlich belohnt, das Wasser ist klar, die Sonne brennt, die Fischer ziehen exotische Fisch aus dem Meer, Zeit zum Entspannen und Kraft tanken.
Am Tag zuvor lernen wir die Geschwister Cirilo (62) und Elena (60) mit Ehemann Berto Lugo (68) kennen. Sie bewirtschaften einen Kräutergarten und bauen Kaffee an. Den Kaffee dürfen wir gleich probieren. Sollten wir irgendwann einmal an diesen Ort zurückkehren, können wir in ihrer Öko-Casa übernachten, die sie gerade bauen. Aber wie schon erwähnt, ich bin nicht der größte Fan, obwohl die Landschaft um Viñales herum wirklich atemberaubend ist.
Die letzten fünf Tage unserer Reise verbringen wir in Havanna. Ein Lada bringt uns zurück zu unserem Sehnsuchtsort. Doch vorher machen wir Halt in San Diego de Los Baños. Der Ort strahlt etwas auf mich aus, obwohl er auf den ersten Blick wie ausgestorben wirkt. Ich sage zu Frauke, dass ich, werde ich jemals einen Film drehen wollen, das genau an diesem Platz tun würde.
San Diego de los Baños ist ein bekannter Kurort, bereits 1891 wurde ein richtiges Heilbad eingerichtet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das Spa vor allem bei amerikanischen Touristen beliebt, und so wurde in den frühen 1950er-Jahren der heutige Hotel- und Thermalbadkomplex errichtet.
Wir wollen ein Heilbad nehmen. Es ist Samstag, wir sind die einzigen Gäste, für einen ganz schmalen Taler dürfen wir 20 Minuten in das geschwefelte Wasser steigen, um uns herum diese formale Architektur, ein einzigartiges Erlebnis. Als wir wieder im Lada sitzen, um nach Havanna zurückzufahren, wirbeln alle meine Gedanken durcheinander und Hitzeströme durchqueren meinen Körper, ich bin völlig überfordert mit mir und meinen Emotionen in diesem Moment, ich denke an eine vergangene Liebe und breche in Tränen aus. Doch bald schon sind wir in Havanna und genau dort beginnt nun das letzte Kapitel unserer Reise.
(Frauke)
Das durchtouristisierte Viñales schien keine zufälligen Begegnungen mit Einwohnern bereitzuhalten. Und dann geschah es doch. In der Straße oberhalb des Kulturhauses pflegte Lugo gerade das Minzbeet in seinem Garten und ließ uns ein paar frische Blätter schmecken. Dann öffnete Cirilo die Pforten zu den 27 Heilkräutern und seltsamen Fruchtbäumen. Zweimal schon wurde der Garten und die Wohnhütte komplett von einem Hurrikan zerwütet. Wir kosteten alles, was reif und zumindest nicht giftig war, darunter viel Exotisches, dessen Namen ich nun immerhin schmeckend kenne. Lugo war 35 Jahre Taxifahrer in Vinales und hat mit seiner ebenfalls herzlichen Frau Elena einen Sohn. Er lebt in Québec und seit acht Jahren ist Skypen die einzige Möglichkeit, sich zu erleben. Der Schmerz darüber hing einen kurzen Moment schwer in der Luft. Ich bewunderte diese Menschen für ihre Lebensfreude. Ich werde ihnen Samen schicken für ihren Garten.
Havanna
Unsere letzten Tage in Havanna vergehen wie im Flug, viel zu schnell. Wir haben einen Zettel, mit allen Das-will-ich-Sehen-Oder-Machen-Punkten, den schaffen wir nicht annähernd abzuarbeiten. Wir nutzen tatsächlich den Dschungel der großen Stadt, um zu shoppen für unsere Familien und Freunde. Wir können schließlich nicht mit leeren Händen und Zigarren nach Hause kommen.
Wir schalten also einen Gang zurück, verzichten auf Museen und die Strände in der Nähe von Havanna, um die Stadtteile zu entdecken, die wir beim ersten Besuch ausgelassen hatten. Dafür streifen wir durch die Straßen, lernen immer wieder Menschen kennen, schlecken Eis, essen Spaghetti, sitzen am Malecón, beobachten die Pioniere und lassen einfach diese Stadt, die Menschen auf uns wirken. Ich erkenne Wege wieder, habe eine Ahnung, woher und wohin wir uns bewegen, genieße mit jeder meiner Poren das Klima.
Wir hatten auf unserer Reise durch Kuba Menschen getroffen, die Havanna nicht mögen. Ich, ich mag sie nicht, ich liebe sie, ihre Reibungsfläche ist groß, sie ist anstrengend, vor allem, die langen Wege zu Fuß. Aber sie gibt so herrlich viel Gefühl zurück, ich habe kein Problem mit ihrer Nähe, weil sie sich auch immer wieder charmant zurückziehen kann. Ich schmunzle im Hier und Jetzt über so viele kleine Episoden, die mit ihr, dieser Metropole passierten, zum Beispiel musste ich zum ersten Mal in meinem Leben Bestechungsgeld zahlen:
Wir fahren zum Instituto Superior de Arte (ISA), der Kunstuniversität von Havanna. Sie liegt weit draußen, ein Taxi bringt uns hin. An mehreren Eingängen (das Gelände der Uni ist riesig!) bewachen? Uniformierte die zirka 1.500 Studenten. Wir werden nicht durchgelassen, zunächst. Nach Verständigungsschwierigkeiten und anschließender Diskussion dürfen wir einkehren, müssen dafür aber bezahlen.
Das ISA besteht aus folgenden Fakultäten: Bildende Kunst (Artes Plásticas), Schauspielkunst (Artes Escénicas) und Tanzkunst (Arte Danzario ), Musik sowie der Fakultät für Medien der audiovisuellen Kommunikation (Medios de Comunicación Audiovisual). Seit 2009 besteht eine Zusammenarbeit mit der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle.
Wir treiben uns auf dem Gelände herum, überall wird geprobt, gewerkelt, geübt, geredet, diskutiert… es künstelt, total unaufgeregt, kein Hippsteralam, kaum Narzismus. Ich überlege leise, wie ich es am besten anstelle, um an diesem Ort zu unterrichten.
An unserem letzten Tag in Havanna und auf Kuba werden wir zu einer Bandprobe gerufen. Wir bummeln durch die Stadt, auf einmal fordert uns ein junger Mann von einem Balkon auf, einer musikalischen Session beizuwohnen. Wir steigen die steile Treppe eines wunderschönen Havanna-Altbau-Hauses hinauf und landen in einem riesigen, nur mit Instrumenten befüllten Raum. Die Jungs und das eine Mädchen üben für ihre Auftritte (Frauke darf bei einem Song mit einstimmen.) Aber hört doch selbst:
Mir fällt der Abschied von Havanna schwer. Im Taxi zum Flughafen sitzend (just an diese Tage wird Trump zum neuen US-Präsidenten gewählt), schwankt meine und unsere Stimmung, wir sind albern und verdrücken uns unsere Tränchen, immer abwechselnd.
(Frauke)
Wir fuhren nach Havanna ein und eine Aussage, die ich zum ersten Mal wahrnahm, resonierte in mir: En un tiempo virtuoso hay qué infundir en el. In verspielt-vergänglichen Zeiten, musst du dich ihr nur hingeben. So interpretiert, traf es zumindest mein Gefühl nach unserer Reise durch Kuba.
Zurück in Havanna hielt in mir das Gefühl einer Heimkehrerin Einzug. Ich fühlte mich gefestigt, fokussierter, klarer in meinem Selbstverständnis, mir meinen Weg durch die havannischen Straßen mit seinen Menschen zu bahnen, wozu manchmal auch eine gewisse Härte gehört, immer dann, wenn die eigenen Grenzen nicht respektiert werden. Mein Weltbezug geerdet. Ich fühle mich wohl für diesen Moment an diesem Ort. Nirgends vorher musste ich mir ein solches Wohlgefühl so erarbeiten, wie in Kuba.
Epilog
Kuba hat mich leichter werden lassen!
Diese Reise hat mich mein Zweifeln und Schmerz vergessen lassen. Nach Hause kam nicht der Mensch, der einen Monat vorher losgefahren war. Ich erlebte auf Kuba, wie Menschen ohne Rassismus miteinander leben, begriff, wie anstrengend Mangel ist, wurde mir darüber bewusst, das (politisches) Denken eine Entscheidung ist, sah und spürte überall ehrliche Solidarität und Respekt, beobachtete die Menschen im Kampf und im Leben. Ich hatte so viele Aha-Erlebnisse. Nun bin ich bewusster, strenger, fordernder, viel stärker, viel sanfter, viel klüger, gelassener, aber vor allem solidarisch und kämpferisch. Auf Kuba habe ich losgelassen, was mich beschwerte, und ich habe dem Land und den Menschen versprochen, dass ich keineswegs durchgehen lasse, wenn Ungerechtigkeit, Oberflächlichkeit, Hass und Konsum eine Gesellschaft entzweien.
Ein bisschen sauer war ich auch auf Fidel. Zwei Wochen nachdem wir zurück kamen von der Insel, starb der ehemalige Revolutionär. Seine Urne nahm den gleichen Weg nach Santiago de Cuba wie wir ein paar Wochen zuvor. Ich hatte ihn natürlich nie kennengelernt, den streitbaren Menschen, aber ich hätte mich gerne verabschiedet, von ihm, der das Leben und Denken einer Gesellschaft über sechzig Jahre im Sozialismus hielt und diesen so vehement gegen den Kapitalismus verteidigte.
…und die Frau Mama mag ich gerne mit dem Schiff nach Kuba schicken, in den kommenden Jahren, ich weiß, sie wird dieses Land lieben. Und ich? Ich komme wieder, das steht außer Frage!
(Frauke)
In Kuba habe ich die kleinsten Kleinunternehmer und die größten Wahnsinnigen gesehen. Die Lösung des ein oder anderen kubanischen Rätsels ist bewahrt für eine zukünftige Zeit, die vielleicht weniger flüchtig ist als unser Monat.Ich bin sehr dankbar für die Reise durch ein solch einzigartiges Land, das sich vor dem Kapitalismus hütet. Es kennt Ignoranz, zwischenmenschliche Rauheit, soziale Isolation und Dummheit innerhalb eines Systems, was eigentlich alles bietet, bei Weitem nicht in dem Maße, wie es sich uns fatalerweise als gegeben darstellt. Noch seltener haben wir Fähigkeiten, gesellschaftliche (selbstredend auch private) Prozesse positiv zu gestalten oder wenigstens unsere Gefühle in einen Ausdruck zu emanzipieren. Als Reisesouvenire habe ich existenzielle Fragen mitgenommen, zum Beispiel, wem ich künftig in meinem Herzen einen Platz einräumen möchte.Das Reisen mit der Kamera war für mich eine elementar neue Erfahrung. Es handelte sich um eine erste Auslotung des Potenzials meiner Anwesenheit in Verbindung mit der Kamera.
Ich beobachte nicht mehr nur, sondern zeige, positioniere mich. Begegnungen und Situationen entstehen und entfalten sich genau nur durch die Kamera. Das optische Chaos lässt sich nicht kontrollieren, aber zähmen – manchmal auch nur mit Geduld und Spucke. Zufälle wollen sich schenken dürfen. Unzählige Begegnungen finden nicht statt aus Angst vor Ablehnung. Klänge und Stimmen sind Lockrufe, die zur Querung un-sicht-barer Grenzen auffordern. Aber vor allen Dingen: das Licht wartet nicht. Und möglicherweise, möglicherweise ist es die reine Liebe zur Lichtspur, die einen Menschen würdig macht, besondere Aufmerksamkeit entgegengebracht zu bekommen.
Comments
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[…] sowjetischer Optik. Zum letzten Mal hatte ich so viel Freude an in die Jahre gekommene Automobile auf Kuba, das war 2016. GAZ-53, Wolga, Lada, Zaporozhet, Schiguli und wie sie alle heißen. In den schönsten Farben […]
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[…] sowjetischer Optik. Zum letzten Mal hatte ich so viel Freude an in die Jahre gekommene Automobile auf Kuba, das war 2016. GAZ-53, Wolga, Lada, Zaporozhet, Schiguli und wie sie alle heißen. In den schönsten Farben […]
Werner
Danke! – Ich bin sprachlos.
Diana
Ich danke euch, dass ihr mich auf eure spannende Reise mitgenommen habt! Ich hoffe, wir haben noch die Gelegenheit, uns persönlich über deine Erfahrungen auszutauschen, liebe Frauke!
Fynn
Unwahrscheinlich tolle Aufnahmen. Kuba steht schon seit meiner Kindheit auf der Liste von Ländern, die ich einmal bereisen möchte. Vielleicht klappt es ja bald mal :)
Sandra Thoß
Was für ein Werk! Ich habe mir viel Zeit genommen für die starken und sensiblen Worte und die fantastischen Bilder eurer Reise. Einen Monat lang bin ich euch Tag für Tage hinterher gereist. Meisterklasse liebe Antje und Frauke.
Wann kommt das Buch heraus? Ich bestelle hiermit ein Exemplar. Kuba möchte ich jetzt ohne Zweifel selbst sehen und erleben.
Sandra
Antje Kröger Photographie
Liebe Sandra,
ich freue mich über Menschen, die wirklich alle Zeilen von uns lesen. Das Geschriebene geht immer mit solch einem Kraftakt einher! Ein Buch? Erst einmal nicht. Irgendwann vielleicht eine Ausstellung und die Reisebilder sind ein Teil davon. Aber es gibt so viel zu tun. Dieses Jahr. Das Jahr der Wahlen in Deutschland. Es gibt so viel zumindest in meinem Hintergrund, der weiter läuft, so viele Projekte, die zumindest 2017 mal das Licht der Welt erblicken mögen. Aber, vielleicht findet sich noch einmal in meinem Leben der Mensch, der das Buch über mich und/oder meine Kunst schreibt?! ;)
Jens Voshage
Liebe Antje Kröger,
eigentlich bin ich wegen anderer Fotos auf deinen Blog hingewiesen worden. Doch da auch ich mich 2016 zum ersten Mal Kuba genähert habe, konnte ich natürlich an deiner Kuba-Reportage(?) nicht vorbei gehen. Leider im ersten Durchgang nur flüchtig. Doch auch hier zeigte sich mir schon: Was für ein wunderschöner persönlicher Blick auf Kuba. Und damit meine ich nicht nur „persönlicher Blick der Fotografin“, sondern „Blick auf die Menschen, auf die Persönlichkeit“. So intim. So berührend. So individuelle von dir geprägt. Und dennoch so treffend auch für mich, der mit einem ganz anderen persönlichen Hintergrund hat. Einen Wunsch habe ich jedoch: „Ich vermisse Kuba – Oktober/November 2016“ als hochwertig produziertes Buch mit großformatigen Fotos und deinen Texten. Zum Eintauchen. Zum Erinnern. Zum Vertiefen. Zum Nachfühlen. Statt nur fix am Bildschirm zu scrollen.
FrommArt
Schöne Sicht auf die Fotografie! Mag Deinen Stil und nachdem ich zeitgleich auf Kuba war, wollte ich Deine Emotionen nur noch bestätigen und bekräftigen!
Und noch ein (mir) ganz wichtiges Lied hinzufügen:
https://www.youtube.com/watch?v=YXnjy5YlDwk
Ganz liebe Grüße,
FrommArt.