Antje Kröger | Fotokünstlerin

Prag (Juni 2022) – Ein Käfig ging einen Vogel suchen

Posted by on Aug 02 2022, in Mensch, Welt

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„Sie sind ein Deutscher, nicht wahr?«
»Ja«, sagte Karl, »Ich bin noch nicht lange in Amerika.«
»Woher sind Sie denn?«
»Aus Prag in Böhmen«, sagte Karl.
»Sehen Sie einmal an«, rief die Oberköchin in einem stark englisch betonten Deutsch und hob fast die Arme, »dann sind wir ja Landsleute, ich heiße Grete Mitzelbach und bin aus Wien. Und Prag kenne ich ja ganz ausgezeichnet, ich war ja ein halbes Jahr in der Goldenen Gans auf dem Wenzelsplatz angestellt. Aber denken Sie nur einmal.«
»Wann ist das gewesen?« fragte Karl.
»Das ist schon viele, viele Jahre her.«
»Die alte Goldene Gans«, sagte Karl, »ist vor zwei Jahren niedergerissen worden.“

Hotel Occidental, Franz Kafka

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Prag (Juni 2022) – Ein Käfig ging einen Vogel suchen

Drei jüdische Friedhöfe, drei analoge Kameras, ein Sauna-Konzert mit anschließend mondänem Frühstück & eine für mich etwas neue Sicht auf eine alte Stadt

Zwei Damen für 24 Stunden in Prag

Als junges Mädchen war ich oft in der damaligen Tschechoslowakei zu Besuch, fast immer im tschechischen Teil, immer in den großen Sommerferien. Meist übernachteten wir auf Zeltplätzen, wanderten und besuchten mittelgroße Städte. Vielleicht auch mal Prag. Ich erinnere mich nicht genau. Aber ich erinnere mich an das AHOJ, die weißen Hörnchen zum Frühstück und diesen leckeren Honig, unbedingt serviert im billigen Plastikbären. Ich konnte die Zahlen von 1 bis 10 auf tschechisch runterbeten und auch die ein oder andere fremde Vokabel ging mir über die Lippen. Am liebsten hatte ich die „Tschechen“ für ihre Konsumgüter. Sie konnten zwar nichts dafür, aber in ihren Lädchen lagen Produkte, die eine DDR-Schülerin beeindrucken konnten. Als ich noch sehr jung war, da waren es vor allem Überraschungseier und Tictacs. Später erfreute ich mich über Leggings (in schwarz natürlich) und Schallplatten (die Single „Cheri Cheri Lady“ von Modern Talking, mein Musikgeschmack brauchte wie ein guter Wein, lange, zum Reifen). Ansonsten hinterließen Land und Kultur keinen so großen Eindruck auf mich.

Auch als erwachsenes Mädchen war ich bereits ein paar Mal in nun Tschechien. Meine Bilanz der Beeindruckung hielt sich auch hier in Grenzen. Ein paar Tagesausflüge in die Landeshauptstadt konnten mich nicht wirklich vom Hocker reißen. (Ich weiß, so viele Menschen lieben Prag!) Nur meine gelben Tassen, die ich mal auf einem Prager Flohmarkt erstanden hatte, liebe ich sehr. (Wieder ein Konsumprodukt.) Aber Brno. Die zweite Stadt Tschechiens. Diese Reise war wirklich wunderbar. Die Sonne schien, damals im Oktober. Ich hatte eine liebliche Begleitung. Und die Menschen dort mochte ich wirklich sehr gerne. Kurz davor, im Sommer des selben Jahres, reiste ich von Wien nach Ostrava (die dritte Stadt Tschechiens). Dieser Ort war mir suspekt. Damals fand dort ein Festival statt. Ein paar Menschen wandelten durch die ansonsten sehr leeren Straßen. Nach Ostrava muss ich nie wieder zurückkehren!

Nun also, im Juni, wieder einmal Prag. Grund dafür ein Konzert. Ich wollte die Gelegenheit nutzen, um den Jüdischen Friedhof zu besuchen, zu fotografieren. Nicht rechnete ich aber damit, dass die Stadt mit mehreren dieser Friedhöfe aufwarten konnte. So besuchte ich, mit einer wieder lieblichen Begleitung, innerhalb von ein wenig mehr als 24 Stunden drei jüdische Friedhöfe: den Alten Jüdischen Friedhof Prag, den Jüdischen Friedhof Prag-Žižkov und den Neuen Jüdischen Friedhof Prag. Insgeheim war dies eine Reise auf Kafkas Spuren. Irgendwie begegneten wir ihm überall, kein Wunder, der berühmteste Sohn der Stadt wird wie fast alles in dieser touristischen Hochburg ausgeschlachtet. Und da ist es auch schon – mein großes Problem mit der Stadt. Die Touristen. Und die Orte und Plätze, die für diese Art Menschen geschaffen wurden, damit sie kommen und ihr Geld da lassen. Deswegen um so mehr erfrischend, dass wir für den Besuch auf dem ersten Friedhof die Tram nehmen mussten, um aus der Innenstadt heraus zu gondeln. Keine Kronen in der Tasche. Dafür schnell beeindruckt vom Prager Fernsehturm, der sich außerhalb des Zentrums futuristisch in die Höhe räkelt. Zwar kann er es nicht mit meiner großen Liebe zum Berliner Fernsehturm aufnehmen. Doch ich war schon angetan. Diese Babies, die herauf und herunter krabbeln. Skurril. Schön.

Nach dem Besuch auf dem ersten Jüdischen Friedhof Prags in Žižkov (mein Tipp, bloß nicht den Alten Jüdischen Friedhof im Zentrum besuchen: viel zu teuer, viel zu viele Menschen, viel zu viele Absperrungen), fiel ich fast über den Koch David. Er saß auf den Stufen der Treppe, die zum Friedhof führt. Er rauchte und starrte in sein Handy. Das ist nämlich der Platz für die Angestellten des Restaurants im Fernsehturm für die ein oder andere Zigarette. Ein nobles Etablissement, erzählte der coole Dude. Aufgefallen war er mir wegen seiner Tattoos rund um das Kochen und die Küche. Deshalb bat ich ihn, für mich zu posen. David wohnte und arbeitete übrigens lange in Großbritannien. Nun sei er aber wieder froh, in seiner Heimatstadt mit Herz und Seele zu sein.

Nach diesen ersten jüdischen toten und tschechischen lebendigen Begegnungen gondelten wir zurück ins Zentrum. Besuchten den Alten Jüdischen Friedhof und wandelten ein wenig auf den touristisch jüdischen Pfaden umher. Bis wir schließlich auf dem Wenzelsplatz landeten. Da waren sie wieder. Die vielen Menschen, die schon mit ihren Mobiltelefonen im Anschlag warteten, um die Rathausuhr zur vollen Stunde zu fotografieren oder gar zu filmen. Von meiner Mutter weiß ich, dass sie als Kind sehr begeistert war von diesem Schauspiel. Heute ists schwer aufgrund der bekloppten Menschenmasse, sich überhaupt auf die Jahrhunderte alte Schau einlassen zu können.

Für uns gab es an diesem Tag noch leckeren Ramen zu essen, um danach gestärkt für tschechisches Bier und deutsche Musik zu sein. Am nächsten Morgen, nach einem Frühstück in böhmischen Ambiente und einem Besuch des drehenden Kafka-Kopfes (ein Kunstwerk von 2014), fuhren wir zum Neuen Jüdischen Friedhof mit dem Grab Kafkas. Meines Erachtens der schönste Jüdische Friedhof der Stadt. Ziemlich groß außerdem. Das Kafka-Grab aber wird keine Besucherin verfehlen. Mir ist es auf vielen Friedhöfen schon passiert, die berühmten Gräber zu verpassen. Hier aber gibt es ausreichend Schilder, die auf Kafkas Ruhestätte hinweisen. Eine nicht sehr pompöse Grabstätte der Familie.

Prag. Ich komme sicherlich noch einmal wieder. Auf den Fahrten mit der Tram hab ich das ein oder andere interessante Detail gesehen, welches ich gerne noch fotografieren würde. Dennoch. Tschechien bleibt wohl neben Ungarn das osteuropäische Land, das am wenigsten mit mir „spricht“ oder mein Herz berührt. Ich sehne mich gerade nach der Ukraine. Und nach Russland!

PS. Ein tschechisches Konsumprodukt durfte nicht fehlen. Ich erwarb ein T-Shirt mit grafischem Kafka-Konterfei für meinen persönlichen Kafka at home.


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