Brojleri
Posted by Antje Kröger Photographie on Juli 15 2024, in Mensch
Ich blute. Kopfüber aufgehängt an einem starken Faden aus imperialistischer Baumwolle um mein schmales Füßlein tropft mein roter Lebenssaft aus mir heraus. Tropf, tropf. Mein Elixier riecht warm. Es verdickt sich von Moment zu Moment. Troopf, troopf. Mein Köpfchen liegt in einem roten Eimerchen ein paar Holz-Türchen weiter. Vor einer halben Stunde noch standen wir ziemlich lebendig zu viert auf unserem Quadratmeter im losen Verschlag herum, „erfreuten“ uns unserer Leben. In meinem Todeskampf aber fühlte ich mich so allein, obwohl ich wusste, dass den anderen dreien bald das gleiche Schicksal ereilen würde.
Mein herrlicher Körper war in den letzten Wochen beachtlich angewachsen, mehr in die Breite als in die Höhe. Gemästet. Die anderen hatten sich natürlich auch nicht lumpen lassen. Schmackhaftestes Fett unter der Haut. Unser Kraftfutter teilten wir geschwisterlich, obwohl gar nicht klar war, in welchem familiären Verhältnis wir zueinander standen. Zumindest eine Schicksalsgemeinschaft waren wir, also wurde brav geteilt.
Jeden Tag lebten wir Huhn-Routine: schlafen, essen, schlafen, essen, schlafen und immer so weiter. Von der Welt sahen wir leider nicht sehr viel. Unser Zuhause war umzäunt. Manchmal versuchte ich mir vorzustellen, wie es hinter unserem Minigehege, hinter dem Verschlag wohl aussehen könnte, wie riechen, wie schmecken, wie das Leben sich anfühlen. Als ich in den Zaun gesetzt wurde, war ich noch ein süßes Baby. Wer kann sich schon an Babymomente erinnern von euch? Niemand. Als ich wieder aus dem Zaun herausgehoben wurde, war das mein Weg zur Schlachtbank. Da war ich panisch, schlug mit den Flügeln und konnte mich nicht mehr der Schönheit der Welt widmen. Schade eigentlich.
Ihre fleischigen Finger umfassten mich. Irgendwas war zu diesem Zeitpunkt anders. Das machte mir Angst. Mein Herz schlug bis zum Hals. Ich wehrte mich mit aller Kraft. Aber ihre fleischigen Finger hatten auch starke Armmuskeln, hielten mich so fest, dass mein Widerstand zwecklos war. Ein paar Meter weiter stand ein in die Jahre gekommener Holzpflock, in den zwei große Nägel geschlagen waren. Sie drückte erst meinen Hals zwischen die Nägel, dann meinen Rumpf gegen das Holz. Mein Herzschlag gab alles und pumpte das gesamte Blut durch meinen nur noch für kurze Zeit lebendigen Körper. Ich wollte nicht sterben. Ein Axthieb von oben unterbrach meinen Gedankenfluss. Kopf ab, die Schlächterin hatte zugeschlagen. Meinen Federrumpf stopften die Fleischfinger in einen Eimer. Ich zuckte. Ich gab alles, ich verspritzte mein Blut. Doch schließlich verließ mich das Leben, nach einem letzten Zucken wurde ich ganz ruhig, schaute auf mein Köpfchen, das auf dem Pflock lag und in seiner Atemlosigkeit ganz wunderschön aussah.