Jüdische Friedhöfe in Leipzig
Posted by Antje Kröger Photographie on Dez 12 2023, in Welt
Stärker als der Tod ist die Liebe
Alter Israelitischer Friedhof
Ich hänge am Tod. Oder hängt dieser gar an mir? Solange ich mich erinnern kann, stellte ich die Frage: Gehen wir heute auf den Friedhof? Sobald meine Frage im Raum herumschwirrte, war die Antwort schon in Stein gemeißelt: Natürlich. So trabte ich an Großmutters Hand und an ihrer Seite den Weg zum Friedhof der Stadt, in der ich geboren wurde. Dort befand sich Großvaters Grab. Ein Großvater, der nur drei Monate, bevor ich das Licht der Welt erblicken sollte, starb, um in dieser Grabstelle ewig weiterzuleben. Oma und ich besuchten Benno. Tot oder lebendig. Spielte doch keine Rolle. Besuch war Besuch. Großvater war Großvater. Zu Hause, also in Omas Wohnung (Zeit meines Lebens hatte ich nicht nur ein Zuhause, Orte, die ich von Herzen liebte, nannte ich schnell „Zuhause“, auch wenn sie nur kurz durch mein Leben hindurch reisten), schaute ich mir die alten Fotografien aus dem Karton an. Schließlich brauchte ich ja ein Bild von Benno in meinem Kopf.
Als ich zum ersten Mal einen tschechischen Friedhof betrat, vielleicht war ich zehn Jahre alt, staunte ich nicht schlecht. Plastikblumen vor und eingravierte Bildnisse auf den Grabsteinen. Das hatte noch einmal eine andere Dimension, als die Ästhetik, die ich von Bennos ziemlich deutsch-langweiligen Totenplatz kannte. Ich mochte das. Kitsch und Kunst. Und ich las mir so furchtbar gerne die Namen auf dem verzierten Marmor durch. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Meine Liebe zu Friedhöfen ist eine so abstrakte Liebe, dass ich kaum Worte für sie finden kann. Es scheint eine Liebe zu sein, die einfach dazu gehört. Zu meinem Leben. Ich besuche Friedhöfe einfach, ohne darüber nachzudenken. All meine Reisen führten auch immer auf die Friedhöfe dieser Welt. Irgendwann kam hinzu, dass ich die jüdischen Friedhöfe bevorzugte. Keine Blumen, keine Bildnisse, dafür Namen, Daten, Gedenken an die Shoa, Steine, Symbole, die mir über die Jahre ziemlich vertraut wurden. Den alten Israelitischen Friedhof in Leipzig betrat ich schon einmal mit einer analogen Kamera und buntem Film. Irgendwann an einem sonnigen sommerlichen Tag, damals besuchte ich mit Anfang zwanzig ein Seminar zum jüdischen Begriff der Heimat. Nun am Ende dieses Jahres, nach den Ereignissen vom 7. Oktober 2023, in winterlicher Schneeschönheit, schaute ich mir sowohl den neuen als auch den alten Jüdischen Friedhof von Leipzig ganz in Ruhe fotografisch an. Wieder mit analogen Kameras, vor allem mit schwarz/weißem Film bestückt. Kein anderer Mensch war an beiden Orten in der Nähe, der Schnee dämpfte meine Schritte, manchmal kämpfte sich die Sonne kurz zwischen den Winterwolken hindurch, manchmal fielen sanft ein paar Schneeflocken vom Himmel. Welch schöne, ruhige, sanfte Plätze, mitten in einer großen, lauten, hektischen Stadt. Ich habe schon versprochen, im Sommer wieder vorbeizuschauen.
Neuer Israelitischer Friedhof
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