Schau im Dunklen nicht in den Spiegel
Posted by Antje Kröger Photographie on Aug. 10 2025, in Mensch

Vor vier Jahren schien die Sonne schon früh auf die Sommermatratze. Sie lag wach neben ihm. Gerade hatte sie eine Nachricht bekommen, die sie unbedingt mit ihm teilen wollte. Doch er schlief noch tief und fest. Die vergangenen Tage waren sie gemeinsam unterwegs gewesen. Ihre Familie hatte etwas Großes zu feiern gehabt. Sie schlugen sich die Bäuche voll, tranken und tanzten, hatten wilden Sex und stampften am nächsten Tag mit großem Kater durch die große Stadt. Sie hatten kaum geschlafen, wollten den Ort aber nicht einfach unbekannt an sich vorbeiziehen lassen. Als sie wieder zu Hause waren, fielen sie erschöpft und gemeinsam ins Bett, dort, wo nun die Nachricht auf ihn wartete. Aber er schlief immer noch. Sie las die Nachricht mindestens einhundert Mal und wartete auf ihn. So wie sie gerne auf ihn wartete. Er war das Schöne in ihrem Leben, das Beruhigende, das Langsame, das Wissende, das Lustige und noch so viel mehr.
Warum „war“? Weil er fortging. Ein Jahr nach dieser Nachricht oder später. So genau weiß sie das nicht. Weil das Weggehen ihre Welt ganz langsam machte. Weil das Weggehen so einen Schmerz verursachte. Weil das Weggehen sich hinzog. Es wollte nicht mehr so werden wie vorher. Sie kannte doch das Sein ohne eine Liebe so gut. Aber mit ihm zog die Liebe in ihr Leben ein. Und diese wollte einfach nicht wieder weggehen. Dabei wünschte sie es sich so sehr. Doch dieser Wunsch wollte nicht in Erfüllung gehen.
Damals, vor vier Jahren, öffnete er irgendwann seine Augen. Sie kreischte. Er erschrak. „Ist was passiert?“ – „Ja.“ Sie sahen sich an.
Jetzt sitzt sie im Garten und beobachtet den blonden Jungen, wie er laut lachend durch eine Wasserfontäne hüpft. Auf dem Arm hält sie das Mondmädchen, das vor sieben Monaten geboren wurde. Sie denkt an diesen Augenblick vor vier Jahren und daran, wie zufrieden sie war. Sie würde sogar das Wort „glücklich“ benutzen, wenn sie es nicht so abgedroschen und banal fände.
Und jetzt? Sie ist nicht mehr so traurig wie all die Jahre davor. Sie hatte gelebt und erlebt. Sie hatte in so viele Spiegel geschaut , in die verblichenen und die hochpolierten, in die fast blinden, in die zersprungenen, in die alten, auch in die neuen. Ein Spiegel zerbrach, als sie versuchte, ihn einzupacken und mitzunehmen. Sie sammelte seine Scherben auf und packte sie in einen Karton. Sie brachte es nicht übers Herz, diese in den Müll zu werfen. Das, was ihr lieb war, davon konnte sie sich einfach nicht trennen. Das war schon immer so. Vieles war ihr nicht lieb in ihrem Leben, deshalb hielten sie alle für hart oder arrogant. So war es aber nicht. Es lag ihr einfach wenig am Herzen. Ihr Herz war ein Block aus irgendeinem hübschen Gestein, das von weicher Haut beschützt wurde. Und ziemlich lange hatte dieses Konzept auch funktioniert. Bis die ersten Tode in ihr Leben traten. Bis er in ihr Leben geriet. Und da war sie schon über vierzig.
Schau in den Spiegel. Gerade dann, wenn es besonders dunkel ist. Denn der Spiegel wird dir immer etwas Neues über dich erzählen. Er wird immer ehrlich zu dir sein, ohne dir vorzumachen, dass du das aushalten würdest. Er wird an deiner Seite bleiben, selbst wenn dein Spiegelbild dich quält. Schau in den Spiegel, wenn dir die Tränen die Säcke unter den Augen noch vergrößern, wenn die Falten tiefer werden, wenn die Körperform sich verändert, wenn die Gedanken dich schon im nächsten Abgrund wähnen, wenn der Blick dich zu töten versucht – schau einfach.














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