Antje Kröger | Fotokünstlerin

Morgen gehts dir wieder gut

Posted by on Apr 07 2016, in Mensch

Morgen gehts dir wieder gut

… geboren werden hängt von einer zufälligen Bewegung ab, von einem Satz, der von einem Unbekannten am anderen Ende der Welt ausgesprochen wird, von einer gedeuteten Gebärde, einer Hand auf der Schulter und einem Flüstern, das nicht hätte geflüstert werden können. Jeder getane Schritt und jedes gesagte Wort irgendeines Menschen in irgendeiner Situation (aus Unschlüssigkeit oder Entschiedenheit, in ehrlicher oder betrügerischer Absicht) haben unvorstellbare Auswirkungen, die jemanden treffen, der uns weder kennt noch kennen will, jemanden, der ungeboren ist oder nicht weiß, dass er möglicherweise unter uns leiden wird, und verwandeln sich buchstäblich in eine Frage von Leben und Tod, so viele Leben und Tode haben ihren rätselhaften Ursprung in etwas, das niemand gewahrt und an das sich niemand erinnert, in dem Bier, das wir zu trinken beschlossen, nachdem wir gezweifelt hatten, ob die Zeit uns reichen würde, in der guten Laune, aus der heraus wir uns liebenswürdig zeigten gegenüber der Person, die man uns gerade vorgestellt hatte, ohne zu wissen, dass sie soeben jemanden angeschrien oder verletzt hatte, in der Torte, die wir auf dem Weg zu einem Mittagessen bei unseren Eltern kaufen wollten und schließlich doch nicht kauften, in dem Drang, einer Stimme zuzuhören, obwohl uns nicht viel an dem liegt, was sie sagt, in dem riskanten Anruf, den wir aus diesem Grund machten, in unserem Wunsch, zu Hause zu bleiben, den wir nicht erfüllten. Hinausgehen und sprechen und handeln, sich bewegen, sehen und hören und wahrgenommen werden setzt uns ständiger Gefahr aus, nicht einmal sich einschließen und schweigen und still verharren rettet vor den Folgen daraus, vor den logischen und unausweichlichen Situationen, vor dem, was heute unmittelbar bevorsteht und so unerwartet war vor nun bald einem Jahr oder vor vier oder zehn oder hundert Jahren oder sogar noch gestern.

Morgen gehts dir wieder gut

Morgen gehts dir wieder gut

Morgen gehts dir wieder gut

Morgen gehts dir wieder gut

Morgen gehts dir wieder gut

Morgen gehts dir wieder gut

Morgen gehts dir wieder gut

Morgen gehts dir wieder gut

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Morgen gehts dir wieder gut

Morgen gehts dir wieder gut

Morgen gehts dir wieder gut

Morgen gehts dir wieder gut

Morgen gehts dir wieder gut

Ich wollte es nicht wissen, aber ich habe erfahren, dass eines der Mädchen, als es kein Mädchen mehr war, kurz nach der Rückkehr von der Hochzeitsreise das Badezimmer betrat, sich vor den Spiegel stellte, die Bluse aufknöpfte, den Büstenhalter auszog und mit der Mündung der Pistole ihres eigenen Vaters, der sich mit einem Teil der Familie und drei Gästen im Esszimmer befand, ihr Herz suchte. Als der Knall ertönte, etwa fünf Minuten, nachdem das Mädchen den Tisch verlassen hatte, stand der Vater nicht sofort auf, sondern verharrte ein paar Sekunden lang wie gelähmt mit vollem Mund und wagte nicht zu kauen noch zu schlucken und noch weniger, den Bissen auf den Teller zurückzuspucken; und als er sich endlich erhob und zum Badezimmer lief, sahen jene, die ihm folgten, wie er, als er den blutüberströmten Körper seiner Tochter entdeckte und die Hände an den Kopf hob, den Bissen Fleisch im Mund hin und her bewegte, ohne zu wissen, was er mit ihm anfangen sollte. Er hielt die Serviette in der Hand und ließ sie erst los, als er nach einer Weile den auf das Bidet geworfenen Büstenhalter bemerkte, und dann bedeckte er ihn mit dem Tuch, das er zur Hand hatte oder in der Hand hatte und das die Spuren seiner Lippen trug, als sei ihm der Anblick des intimen Kleidungsstückes peinlicher als der Anblick des halbnackten, am Boden liegenden Körpers, der mit dem Kleidungsstück bis vor ganz kurzer Zeit in Berührung gewesen war: der am Tisch sitzende Körper oder der sich auf dem Flur entfernende Körper oder auch der stehende Körper. Zuvor hatte der Vater mit einer automatischen Handbewegung den Wasserhahn des Waschbeckens zugedreht, den Kaltwasserhahn, aus dem das Wasser unter großem Druck herausschoss. Die Tochter hatte geweint, während sie sich vor den Spiegel stellte, die Bluse aufknöpfte, den Büstenhalter auszog und ihr Herz suchte, denn sie lag mit Tränen in den Augen auf dem kalten Boden des riesigen Badezimmers, die man während des Mittagessens nicht an ihr gesehen hatte und die auch nicht nach dem Augenblick in ihre Augen getreten sein konnten, da sie leblos zu Boden gefallen war. Entgegen ihrer Gewohnheit und der allgemeinen Gewohnheit hatte sie nicht den Riegel vorgelegt, was den Vater auf den Gedanken brachte (aber nur kurz und ohne es wirklich zu denken, während er schluckte), dass seine Tochter vielleicht, während sie weinte, erwartet oder gewünscht hatte, jemand möge die Tür öffnen und sie hindern, das zu tun, was sie getan hatte, nicht mit Gewalt, sondern durch seine bloße Anwesenheit, durch die Betrachtung ihrer Nacktheit zu Lebzeiten oder mit einer Hand auf der Schulter. Aber niemand (außer ihr jetzt und weil sie kein Mädchen mehr war) ging während des Mittagessens ins Badezimmer. Die Brust, die der Schuss nicht getroffen hatte, war deutlich sichtbar, mütterlich und weiß und noch fest, und auf sie richteten sich instinktiv die ersten Blicke, mehr als alles andere, um sich nicht auf die andere richten zu müssen, die nicht mehr existierte oder nur aus Blut bestand. Seit vielen Jahren hatte der Vater diese Brust nicht gesehen, er hatte sie nicht mehr gesehen, seit sie sich verändert hatte oder mütterlich zu werden begann, und deshalb fühlte er nicht nur Entsetzen, sondern auch Verwirrung.

Javier Marías, Mein Herz so weiß

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