Hunger — Part II
Posted by Antje Kröger Photographie on Jun 21 2019, in Mensch
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Satt. Der Europäer ist satt. Was passt noch in ihn rein? Oberkante Unterlippe. Noch eine geschredderte Kükenfeder mehr und es quillt aus ihm raus.
Satt. Er ist es noch immer, der Europäer. In ihn geht nichts mehr rein. Bis unter die Haarspitzen. Noch eine neue Unterhaltungssequenz und sein Kopf explodiert.
Fraß, Entertainment, Information, Befriedigung.
Immer rein in den Körper. Alles. Immer. Rein.
Unersättlich.
Hunger verkommen zu Appetit.
Hunger verkommen zu Lust.
Lust auf schnelle Beglückung des Gaumens, der Rezeptoren auf der Zunge.
Geschmack? Echt egal.
Herkunft Nebensache.
Werdegang, Schadstoffbelastung, Anbaumethode?
„Ja, wird es geben. In einer anderen Welt.“
Tabuisierung des eigenen Fleisches. Weltweit gibt es immer weniger. Nahrung. Tiere, Luft zum Atmen.
Was gibt es mehr? Immer mehr? Menschen. Haustiere.
Friss die, haltloses Vieh, du Homo sapiens. Homo omnivore. Leider doch nicht.
Die Revolution frisst ihre Kinder. Der Homo frisst seine Alten. Warum das nicht? Sie siechen in Lagern, am Leben gehalten von Schläuchen und Maschinen.
Jedem Tier sein Pläsier. Jedem Mensch sein Haustier. Kein Hunger. Instinkte weggezüchtet. Fettgefüttert. Jagdtrieb nur noch zum Spiel. Friss, was du fettfütterst. Zwei Fliegen, eine Klappe.
Das Gesicht fast zu schön für deinen Schmerz. Hunger geboren aus Verzicht. Hunger geboren im Schmerz. Die Geisha unter den Nudeln. Schätzt sie das Fressen? Sie windet sich darin. Schätzt sie, was da fliegt. Ist das ein Hurra? Ein Halleluja? Oder ist es Völlerei. Der Hof des Sonnenkönigs?
Oder ist das die Papphütte in Soweto? Vorgehaltener Spiegel? Nützt wenig, wenn sie nicht hineinblickt. Sie sieht nur sich. Spielt mit dem, was sie hat. Hat zuviel. Spielt mit allem und lässt alles liegen. Verderben. Anderswo verderben Mägen. Anderswo verenden Leben. Ein Hunger hier ist leicht. Ein Hunger unten, dort im Tale, hinterm Meer, nach der Wüste, wiegt so schwer. Hier um die Ecke, gleich schwer, man erkennt es nicht mit dem ersten Blick. Auch Hunger da. Gleich hier, neben mir, man ahnt es nur, Hunger. Hunger allenthalben, all überall. Hunger auf Luft, auf Wasser, sogar Erde. Hunger aus Angst, Angst vorm letzten Mal. Vorm letzten Mahl. Henkersmahlzeit.
Es quillt aus einigen, es flieht vor anderen. Unbekömmlich nie. Alles wird vertilgt. Getilgt. Bevor es vergilbt. Verschließe die Augen, dreh dich weg.Mensch. Hunger. Mensch. Überhungert. Mensch. Verhungert.
Der europäische Hunger, TOBIAS CRAIN
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