Antje Kröger | Fotokünstlerin

Totenhaus – Tastenrabe

Posted by on Nov 20 2019, in Mensch, Welt

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Ich träume wirr, ich träume schwer, ich träume prophetisch, etwa? Korppi flattert durch meinen Traum oder flattert er durch meine enge Kajüte? Ist er verrückt? Das Hausboot schaukelt. War etwa Wind aufgekommen, gar Sturm. Bin ich wach? Bin ich hier? Bin ich zwischen den Welten (gefangen)? Sturm, Welt, Schwere. Schlummer. Lass mich doch schlummern. Ich betäube mich, berauscht durch diese Welt(en), Korppi wird mein kurzes Hinfortgehen verkraften. Doch da, da ist er ja schon wieder. Leuchtend eine Leiter hinabsteigend. Unterwelt. Der stumme Rabe kommet. Mein Freund. Ihm ist auch nichts heilig. Die Wüste Kirche wirft ihre Schatten voraus. Ich erkenne Ähnlichkeit zu unserem Schloss, mir wird warm ums Herz und klamm und kalt in den Gliedern. Der Backstein, den ich Korppi entdecken sehe, hat viele Generationen überstanden. Räume leer. Musik ausgespielt. Farbe nur noch auf den Bezügen der klapprigen Chaisen, dieses hässliche grün, ich kotze es aus, wenn mich unser Boot das nächste Mal krank werden lässt. Ich blinzele mich durch den Raum, ohne mich vom tollenden Raben ablenken zu lassen. Was wurde hier abgehalten? Todesmessen? Hochzeiten zwischen Schlimm und Schlimmer? Oder sang gar die Königin der Nacht hier ihre Arien mit sündhafter Begleitung? Im Licht der Leere wirkt diese Welt fahl und voller Langeweile. Bis der Rabe zum Spiel ansetzt. Klimperräbchen wird zum Tastenlöwe. Ich erkenne die Melodie nicht. Aber wie von Zauberhand summe ich mit. Der Rabe and me ein duo infernale in meiner Traum-Zwischen-Sonstwas-Welt zumindest. Danach Dunkelheit. Unruhige-Hausboot-in-Gent-Nacht.

„Die Tasten, sie spielten kein Totenlied. Ich übte eine Melodie der Liebe zu finden!“ Korppi hockt an meinem Bett und wedelt mit seinem Lämpchen wild hin und her. Ich bin noch überhaupt nicht wach, meine Glieder träge, mein Geist schwach. Woher wußte das Rabentier von meinem Traume? Während ich so darüber sinniere, spüre ich seine warmen Krallen an meiner Wange.

Streichel.

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Totenhaus – Tastenrabe
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Totenhaus – Tastenrabe

Durch Gant, wo ich seit kurzer Zeit verweile, macht eine Kunde die Runde, von einem Wettstreit der goldenen Kehlen. Es ist klar, da darf ich nicht fehlen. Nenn mich Morbus Corvus. Nenn mich Corax Krösus. Nenn mich Orabpheus, den Dunklen mit dem hellen Klang im Singorgan. So brech ich auf ins ferne Eisenach zur Wartburg, wo Tausende schon warten sollen, vor Erregung mit den Ohren rollen. Die Reise beginnt verheißungsvoll, ich flieg und flieg, Schnabel offen, hab noch nie so klare, kühle Luft gesoffen. Bis dann doch meine Augen blicken, das Ziel so kurz nach Aufstieg schon? Seltsam, doch ich gleite tiefer und bei genauerer Betracht, es ist mir neu, doch die Wartburg besteigt man durch einen Schacht. Von dort erstreckt sich eine Katakombe. Die erflieg ich mir. Ein Auftritt in Extravaganz, wie es mir gebührt, Orabpheus mit schwarzem Glanz. Warum denn nur hält mich dieser Leiterfang? Wo ich doch nur dem Drang des wilden Tieres folgen will. Doch warum ist es so still? Wo sind die tausenden Ohren, die dem Sängerkrieg wollen beiwohnen? Alles ist doch angerichtet, Flügel, Throne, Rampenlicht unterm Heiligenschein. Alles scheint vorbereitet zu sein. Keine Hörer weit und breit, keine Hörer hoch und tief. Mir däucht in dieser Thingstätte, braucht es meine Stimme nicht. Mir däucht, das ist der falsche Fleck. Mir däucht, das ist ein Totenraum. Denn still und leis, man hört es kaum, dringt Gesäusel durch den Raum. Mag kommen von oben, mag kommen vom Herzen, von der Leber, von den Kerzen auf dem Leuchter, es zu orten, unmöglich bei diesen Kohorten an Lauten. Meine Gehörgänge werden zu Abwärtsspiralen. Taumelnd trotze ich diesen Qualen, stolpere vor dieses Loch, diesen Ofen, oder was ist das noch? Meine Augen trübe ob dieses Radaus, erblicken was eigentlich ein Augenschmaus. EURYDIKE! Meine Frau! Vor Jahren verlor ich sie durch einen Blick über die Schulter. Nun finde ich sie hier, ein Häufchen Flocken aus Asche. Wer leitete mich in dieses Krematorium des Orkus? Wartburgstäuschung, Sängerkriegslüge! Welch Strafe über meine Augen für meine Seele. Um zu trällern, brach ich auf, beglücken wollt ich, Orabpheus. Nun sah ich Dinge zuhauf, die zerstückeln mich. Doch singen, spielen will ich noch. Jetzt! Die Kakofonie muss aus meinem Kopf. Der Flügel da soll leiden unter meinem Spiel, unter meinen Beinen. Der Organist, der deine Organe frisst. Toccata und Fuge. Moll und Tragik. Vergasen und verbrennen. Charles Manson und Marc Dutroux. Amityville und Castel del Monte, Holocaust und Holodomor, Aussig, Ruanda, Srebrenica, American Psycho und Sandmann. Alles vereint sich in mir. Überlagert sich mit Wut, Hass, Melancholie, Mordlust und Frust. Und daraus wird… Kunst. Orabpheus, der am Saiteninstrument die Tasten schlägt wie seine inneren Dämonen. Der Orabpheus, da schwanken die Steine mit ihren Hormonen. Die Steine meine einzigen Hörer. Ich ziehe meine Lyra, damit bringe ich von 10 000 Steinen alle zum Weinen.

Tobias Crain

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