Antje Kröger | Fotokünstlerin

Ich-Zerfall Part II

Posted by on Mrz 29 2023, in Mensch

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ICH habe das Gefühl, ICH möchte etwas sagen beziehungsweise schreiben. Um meine Aussagen zu bündeln, geschieht es an dieser Stelle und nicht in den sozialen Medien. In den vergangenen Wochen geschahen verschiedene Ereignisse, die zu diesem Wortausbruch führen. Im Grunde kreisten diese Ereignisse immer um ähnliche Themen. Was ist Kunst? Was kann Kunst? Was darf Kunst? Wie gehe ich als Rezipient*in mit Kunst um? Wie stehe ich als Künstlerin zu alledem? ICH gebe hier jetzt keine abschließenden Schlüsse und Gedanken, sondern nur das wieder, was mein sogenannter Status Quo ist. Auch ich entwickle mich weiter oder sehe das ein oder andere demnächst vielleicht anders. Dies soll auch kein Vorwurf sein an die Menschen, die mit dem Ausbruch der Worte verquickt sind. Im Gegenteil. Ihr helft mir, klarer zu werden. Und ihr helft mir vor allem darin, auch klarer das zu kommunizieren, was für mich sowieso klar ist! Aber eines nach dem anderen …

Die Menschen, die sich für meine Fotokunst vor meinen Kameras positionieren, einschließlich mir, bezeichne ich als Marmor. Ich bin die Regisseurin meiner Kunst. Ich bestimme das, was „zu sehen“ sein wird. ICH bin die Gestalterin. Die Menschen, die sich darauf einlassen, tun dies mit genau diesem Wissen. Es werden Verträge geschlossen und Grenzen gesetzt, zusammen. Das Wort Marmor ist absolut wohlwollend gemeint und diskreditiert niemals einen Menschen. Wir beide, mein Marmor und ich, sind daran interessiert, Kunst „herzustellen“. Diese beruht auf meiner Imagination, meinen Ideen, meinen Kreativprozessen, meiner Recherche, meinen Räumen, meinen Materialien: alles meine Arbeit. Ja, ich bin dem Marmor dankbar, wenn dieser sich von mir formen lässt. Denn das ist auch eine wichtige Leistung. Aber der Marmor ist und bleibt Marmor, eine Leinwand. Das, was der/die Rezipient*in auf all meiner Kunst sieht, ist immer mehr mit mir verknüpft als mit der Person, die mein Marmor ist. Meine Arbeit mit dem Marmor ist immer mehr ein Selbstbild als ein Porträt meines Gegenübers. Das hat meine Arbeit eben so an sich, denn es handelt sich immer um meine Interpretationsebene eines Themas beispielsweise und nicht um die des Marmors. Ich inszeniere und bilde nicht ab. Mich interessiert nicht, ob mein Marmor später noch einkaufen gehen muss oder ein Pickel an der Arschbacke hat oder später einen Joint braucht. Während wir zusammen arbeiten, interessiert mich nur unsere gemeinsame Arbeit. Ich mache mir keine Sorgen, weil jemand süchtig oder krank ist. Weil jemand bald sterben muss oder gerade einen Verlust erlebt hat. Ich arbeite vielleicht mit diesen Zuständen, wenn dies so abgesprochen wird. Ich gehe zusammen mit meinem Marmor in Abgründe hinein, weil wir beide das aus Gründen können und uns dazu entschieden haben. In den meisten Fällen meiner Kunst erzähle ich keine persönlichen Geschichten. Mache keinen Fotojournalismus. Wenn dies der Fall ist, wie beispielsweise auf meinen Reisen oder bei der Sterbebegleitung eines Kindes vor ein paar Jahren, ist dies für Rezipienten immer sofort sichtbar. Auch für meine Auftragsarbeit gelten diese Worte so nicht. Aber weiter im Text … Da gibt es zum Beispiel Fotos in meinem Œuvre mit sehr dünnen oder sehr dicken Körpern. Bei keinem anderen Thema erreichen mich so viele Zuschriften. Mehrheitlich Zuschriften der Sorge. „Lebt diese Person noch? Geht es der Person gut? Es tut mir so weh, diese Person so zu sehen!“ usw. Ich kann als dicke Frau hier mal ganz offen schreiben. Diese ganze Sorge-Nummer sagt viel mehr über euch aus als über mich aus. Diese Sorge ist mir schon als Jugendliche auf die Nerven gegangen und tut dies immer noch. Übrigens weiß ich dies von der Kommunikation mit meinen verschiedenen, immer für mich schönen Marmorblöcken auch. Es nervt. Diese falsche Sorge. Jeder Mensch hat das Recht, über den Körper selbst zu bestimmen. Übrigens auch schwierige Themen: Rauchen, Ritzen, Alter, „abseitge“ Sexualität uva. Aber jetzt mal ehrlich Leute mit eurem Sorgenpotential und eurer Moralapostelei … Wozu braucht ihr das? Ich mache diese Kunst, um die Vielfalt der Welt zu zeigen, zu spüren, sie erzählen zu lassen. Und ja, manche Geschichten sind traurig. So what. Das Leben ist an vielen Stellen auch voller Trauer und Schmerz. Vielleicht habe ich einen Vorteil. In diesem Schmerz sehe ich eine besondere Form der Schönheit. Und ich möchte diese Schönheit ganz oft einfach hinausschreien in die Welt. Also fragt doch demnächst nicht mehr, ob der ein oder andere Marmorblock, den ihr auf meinen Kunstwerken erblickt, noch am Leben ist. Irgendwann sterben wir alle. Das ist die einzige Wahrheit. Kunst ist ein „Raum der Fantasie“. In diesem Raum spiele ich ein Spiel. Und meine Spiele sind immer tief, denn, ich wurde im Tiefland geboren.

Ich wünsche mir, dass Menschen auch die Texte lesen, die ich schreibe. Ich wünsche mir, dass sich Menschen, die meine Kunst in den sozialen Medien sehen, auf meine Website klicken, um dort die Serie in voller Pracht zu genießen, in der Reihenfolge der Fotos, die ich festlege, in den richtigen Formaten, ohne Zensur und mit Worten versehen, die mir oft sehr viel Zeit abverlangen. Ich wünsche mir von den Menschen ein wenig mehr Weitblick. Wie oft wird mir die Frage gestellt, ob ich dies auf den Fotos sei. Nach obiger Erklärung wisst ihr ja nun, es spielt eigentlich keine Rolle, aber ein paar Klicks nur auf meiner Website gemacht, reichen aus, um sich selbst diese Frage zu beantworten. Nicht falsch verstehen, ich liebe Kommunikation. Aber stiehlt mir doch nicht die Zeit mit banalen Fragen. Stellt mir Fragen, die mich herausfordern.

Ich kreiere Serien. Ich denke in Themen, ich denke in Serien. Ich fotografiere nie Einzelbilder. Jede meiner Fotografien ist verbunden mit anderen in Serien oder Themen. Falls ihr meine Fotokunst in irgendeiner Form zitiert, zeigt oder benutzt, ist immer auch der Verweis auf die Serie oder das Thema zwingend!!! erforderlich. Die Autorenschaft/Urheberschaft sollte sowieso gekennzeichnet sein. Keine Frage. Für meine Kunst jedoch gilt zusätzlich, wenn schon ein Werk isoliert wird, die Serie zu benennen und sie zu verlinken!

Bevor ich schließe, möchte ich allen danken, mit denen ich diese Gedanken sowieso schon teile und die wissen, dass ich neben meiner künstlerischen Klarheit auch eine weiche, wohlwollende und sehr Laissez-faire Seite habe. Lächelnder Smiley.


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