Antje Kröger | Fotokünstlerin

Ambivalenz aushalten. Vom Sehen und Sein

Posted by on Dez 02 2019, in Mensch

Ambivalenz aushalten. Vom Sehen und Sein_Antje Kröger

Dezember 2019

KÖRPER

Antjes Blick auf ihn interessiert mich. Ich will wissen, wie sie ihn sieht. Ich arbeite jeden Tag mit Worten, aber ihn mit Worten zu beschreiben, gelingt mir nicht. Etwas musste durch ihn hindurch, von dem ich nicht weiß, was es ist. Ich komme nicht darauf, nicht mit Schreiben, nicht mit Familienaufstellung, nicht mit anderen Blickwinkeln.

Wenn man über Frauenrechte spricht, sagt frau, mein Körper gehört mir. Es besagt, dass niemand anderes das Recht hat, über ihn zu verfügen. Kein Staat, keine Politik, kein Gesetz, kein Abtreibungsparagraf, kein Mann.

Aber woanders heißt es wiederum: Alles ist vergänglich. Dir gehört nichts. Ich finde keine Worte für meinen Körper. Aber auch, wenn ich die Körper der anderen beschreiben muss, geht es mir so. Menschen in ihren Äußerlichkeiten beschreiben, mag ich nicht, denn es gelingt mir nur selten so, dass ich zufrieden bin. Es gibt Schablonen: Die Haare: lockig, glatt, lang, kurz, braun, blond, schwarz, rot? Der Anorak: alt, neu, neonfarben, zerknautscht? Die Statur: schlank, stämmig, groß, klein? Vielleicht ist es auch unmöglich,Visuelles in Worte zu fassen. Bilder stehen für sich. An gute Bilder erinnert man sich, sie bleiben im Gedächtnis. Und stoßen etwas an, halten etwas an, weisen auf etwas hin.

Ambivalenz aushalten. Vom Sehen und Sein_Antje Kröger
Ambivalenz aushalten. Vom Sehen und Sein
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Juli 2019

Shooting.

Jemand hat die zerbrochene Glasscheibe der Wohnungstür mit einem in etwa passend zurechtgeschnittenem Stück Pappe ersetzt. Nur das war mir aufgefallen, als ich drei, vier Stunden vorher im Treppenhaus daran vorbei gegangen war. Drinnen schwärzt Asche Decken und Wände. Durch die Fenster, die zur Straßenseite liegen, fällt Sonnenlicht und wirft Schatten auf dem Parkett. Ich bin überrascht, denn ich habe nicht erwartet, dass mich in einer ausgebrannten, leeren Wohnung eine Orientierungslosigkeit packen würde. Die Hitze hat die Gegensprechanlage geschmolzen. Der Hörer löste sich aus der Verankerung, erkaltetes Plastik hängt in Fäden neben dem Türstock. Das Plastik lässt sich biegen und ist geschmeidig. Ich will die Räume bestimmen. Wo sind Küche oder Bad gewesen? Es gelingt mir nicht. Weiße Schattenwürfe an der schwarzen Wand, wo ein Bild gehangen hatte, wo ein Schrank stand oder Schrauben Regale fixierten. Die Glühbirne einer umgefallenen Schreibtischlampe hat Kleider entzündet, die brennenden Kleider die Wohnung. Das Zimmer, in dem der Brand ausgebrochen ist, ist das einzige, in dem sich noch Dinge befinden, verformt von der Hitze und überzogen von einem Aschefilm. Bei der Feuerwehr habe ich gelernt, dass eine halbe Stunde nach Beginn des Brandes die Temperatur bei fast 1000 Grad liegt. Die Hitze hat an manchen Stellen das Glas bersten lassen. Ich denke an das zerstörte Mogadischu nach dem Bürgerkrieg, auch an Aleppo. An all die Orte, wo Krieg das Glas, das Besitz, Erinnerungen und den Menschen schützte, zerstört hat. Wieviel Grad braucht es für den umgekehrten Prozess? Wann wird Quarzsand, Kalk und Soda zu Glas? 1200 Grad, sagt die Enzyklopädie im Netz. Die Orientierungslosigkeit wird mit einem Mal zu Freiheit, denn die Ordnung der Körper und Dinge gilt nicht mehr. Mein Körper wird zu einem anderen, als er in einer bewohnten Wohnung ist, wo Körper und Dinge feste Plätze haben. Dort hängen Kleider im Schrank, liegt Seife neben der Badewanne, nehmen Körper am Tisch Platz und legen sich am Abend ins Bett. In der Literatur ist das „Ich“ prekär, in der Fotografie Voraussetzung für alle Arbeit. Trotzdem, es bleibt ein Rest Unbehagen, für ein Foto zu posieren, sich der Nachwelt in purer Äußerlichkeit darzustellen. Aber die Neugierde ist größer, ich will die Ambivalenz zwischen Sehen und Sein aushalten.

Danach.

TAG 1: Der erste Blick auf die Bilder. Es ist eine erste Auswahl, 73 von mehr als 800 Aufnahmen. Ich sehe sie durch, klicke durch die Galerie. Zuerst habe ich den Impuls, gegen die Bilder anschreiben zu müssen. Das schreibende Ich will gegen die Aufdringlichkeit des Fotografischen aufbegehren. Ich lasse es, aber es kommt nichts dabei heraus, was Bestand hat. Also weiter. Manche Bilder stoßen mich ab, zu manchen fühle ich mich hingezogen. In einem Bild erkenne ich mich sofort wieder. Vom Körper sind nur die Beine abgebildet; zu sehen ist aber auch der Schatten meines Rumpfs. Ich habe mich dem Schatten zugewandt und werde gleich Schritt auf ihn zu machen und ihn einholen. So bin ich. Oft für die andere ein Rätsel, aber auch für mich selbst. Bei den meisten Aufnahmen bin ich mir tatsächlich unsicher, 32 Mal sage ich „Vielleicht“. Ich frage: Bin ich so hart? Mein Körper? Ist es der fotografische Blick? Ist es der Ort, diese ausgebrannte, verlassene Wohnung? Woher kommt die Unsicherheit? Vielleicht will ich etwas erkennen, das ich gar nicht finden kann? Vielleicht haben die Bilder weniger mit mir zu tun, als ich annehme. Sie sagt, dass der Mensch vor der Kamera im Moment des Shootings wie Marmor sei, ein zu gestaltendes Objekt. Er sei Mensch davor und auch wieder danach, aber nicht im Moment des Shootings. Als ich die Bilder sehe, denke ich nicht nur an die Werke Joel-Peter Witkins, sondern auch Darstellungen von Hieronymus Bosch und Diego Velázquez. Ich bin ich Teil eines Tableau vivant geworden.

TAG 2: Sie schickt eine weitere Auswahl: elf Favoriten aus 73. Auch das Bild mit den Beinen und dem Schatten ist dabei. Ich habe mir vorgenommen, dass ich mich mit den Bildern, die ich ablehne, am meisten beschäftigen werde. Ich will mich ihnen nähern, es aushalten. Ich will der Ablehnung auf den Grund gehen. Und tatsächlich, mein Blick verändert sich und ich habe viele Fragen. Ich sehe mich auf dem Boden in der Haltung einer Gekreuzigten liegen. Geht es um die Nachstellung des Leidens? Oder einen religiösen Kontext? Geht es darum, sich zu spüren? Was beeinflusst meinen Blick? Ich sehe mich, entferne mich von mir und begegne mir woanders neu.

Texte: Michaela Maria Müller

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