Wanderpflicht
Posted by Antje Kröger Photographie on Feb 08 2016, in Mensch
Was zieht da mit, was zieht da mit mir mit, was zieht da an mir? Mein Schatten kann es nicht sein, den habe ich ans Vorbei abgegeben, der war die ganze Zeit hinter mir, bin schon mehrmals an ihm vorbei, er wollte nicht mit, er wollte nicht mitziehen mit mir. Kann man ihn eigentlich vorauswerfen und dann entschlossen in ihn hineinspringen? Kann der Schatten das, was war, durchbrechen, indem er vor mir herläuft? Keine Ahnung. Ich spreche mit mir selbst, sonst spricht ja niemand mit mir. Ich stecke bis zum Hals in meinem Scheitern. Ich stecke in meiner Wanderpflicht, man nimmt mich in die Wanderpflicht, man nimmt mich dort auch noch hinein, aber man läßt mich dort nicht, ich kann dieser Pflicht ohnedies nicht genügen, das weiß man. Wer weiß, wer das weiß? Egal. Ich genüge nicht. Wem genüge ich denn nicht? Wer sagt, daß ich nicht genüge, meinem eigenen Leben nicht genüge, in der Schule des Lebens ein Nichtgenügend bekommen muß? Ich wollte recht zeitlich kommen, damit man nicht merkt, daß ich da bin, und mich nicht hinauswirft, wollte mich klein machen, aber die Zeit ist nicht meine, diese Zeitlichkeit war auch nicht meine, ich komme aus einer andren Zeitlichkeit, nicht aus dieser, habe ich mir eingebildet, aber das ging nicht. Kann man auch sagen: Zu zeitig, zu unzeitig bin ich, eine Übriggebliebene? Da ist die eine Wirklichkeit, die der Zeit, da ist die andre: ich.
Elfriede Jelinek, Winterreise, Ein Theaterstück