Antje Kröger | Fotokünstlerin

MIT.gefühl

Posted by on Nov 23 2015, in Mensch

Aktfotografie Antje Kröger

Alle aus dem Lateinischen hervorgegangenen Sprachen bilden das Wort Mitgefühl aus der Vorsilbe com- und dem Wort, das ursprünglich >Leiden< bedeutete: passio. Andere Sprachen, so das Tschechische, das Polnische und das Schwedische, drücken diesen Begriff durch ein Substantiv aus, das aus der Vorsilbe Mit- und dem Wort >Gefühl< besteht (tschechisch sou-cit, polnisch wspol-uczucie, schwedisch medkansia).

In den aus dem Lateinischen hervorgegangenen Sprachen bedeutet das Wort compassio: wir können nicht herzlos den Leiden eines anderen zuschauen; oder: wir nehmen Anteil am Leid des anderen. Aus einem anderen Wort mit ungefähr derselben Bedeutung (französisch pitie, englisch pity, italienisch pieta usw.) schwingt sogar unterschwellig so etwas wie Nachsicht dem Leidenden gegenüber mit: »Avoir de la pitie pour une femme« heißt, daß wir besser dran sind als diese Frau, uns zu ihr hinabneigen, uns herablassen.

Aus diesem Grund erweckt das Wort Mitleid Mißtrauen: es bezeichnet ein schlechtes Gefühl, das als zweitrangig empfunden wird und nicht viel mit Liebe zu tun hat. Jemanden aus Mitleid zu lieben heißt, ihn nicht wirklich zu lieben.

In den Sprachen, die das Wort nicht aus der Wurzel >Leiden<, sondern aus dem Substantiv >Gefühl< bilden, wird es ungefähr in demselben Sinn gebraucht; man kann aber nicht behaupten, es bezeichne ein zweitrangiges, schlechtes Gefühl. Die geheime Macht seiner Etymologie läßt das Wort in einem anderen Licht erscheinen, gibt ihm eine umfassendere Bedeutung: Mit-Gefühl haben bedeutet, das Unglück des anderen mitzuerleben, genausogut aber jedes andere Gefühl mitempfinden zu können: Freude, Angst, Glück und Schmerz. Dieses Mitgefühl (im Sinne von soucit, wspoluczucie, medkansia) bezeichnet also den höchsten Grad der gefühlsmäßigen Vorstellungskraft, die Kunst der Gefühlstelepathie; in der Hierarchie der Gefühle ist es das höchste aller Gefühle.

Als Teresa träumte, sie stieße sich Nadeln unter die Fingernägel, verriet sie damit, daß sie heimlich Tomas‘ Schubladen durchwühlt hatte. Hätte eine andere Frau ihm das angetan, er hätte kein Wort mehr mit ihr gesprochen. Teresa wußte das, und deshalb sagte sie: »Wirf mich raus!« Er aber warf sie nicht hinaus, sondern nahm sogar ihre Hände und küßte ihr die Fingerspitzen, denn er spürte in jenem Augenblick selbst den Schmerz unter ihren Fingernägeln, als wären die Nerven ihrer Finger direkt mit seinem Gehirn verbunden.

Wer die teuflische Gabe des Mitgefühls nicht besitzt, der kann Teresas Verhalten nur kaltblütig verurteilen, denn die Privatsphäre des anderen ist heilig. Schubladen mit persönlicher Korrespondenz öffnet man nicht. Da aber das Mitgefühl für Tomas zum Schicksal (oder zum Fluch) geworden war, kam es ihm vor, als kniete er selbst vor der geöffneten Schublade seines Schreibtisches und könnte die Augen nicht losreißen von Sabinas Sätzen. Er verstand Teresa und war nicht nur unfähig, ihr böse zu sein, sondern er liebte sie noch viel mehr.

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, Milan Kundera

Aktfotografie Antje Kröger

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Comments

  • Bärenstark. Unter die Haut. Fotos und der Text.

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