Antje Kröger | Fotokünstlerin

Das Leben des Monsieur Adam Kautz

Posted by on Mrz 09 2020, in Mensch

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Für meinen Protagonisten wähle ich bewusst einen anderen Namen, lautmalerisch ähnlich in der Realität. Warum? Ich will erzählen. Künstlerische Freiheit, um eine Begegnung, die mich weich umarmte und hart erinnerte, zu interpretieren. Acht Kapitel. Gefühlt in drei Tagen. Text und Foto verbinden sich durch die Art, wie Du liebe(r) LeserIn und Du liebe(r) BetrachterIn diese Aussagen meinerseits miteinander verwebst.

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Das Leben des Monsieur Adam Kautz

Die Natur

Adam wird dazwischen geworfen. Nach vier Mädchen endlich ein Junge, fünf Franken in Silber wert (Silber nicht Gold. Gülden wird es erst später. Wert bestimmt vom Großvater.) Heiß ersehnt. In einem anderen Land, zu einer anderen Zeit. Land: Schweiz. Zeit: 1948. Danach vier weitere Gestalten. Neun. Neun Menschenkinder, die sich Geschwister nennen (sieben erfreuen sich auch heute noch am Leben!), viele Mädchenpaare. Adam ist ein Dezember-Baby. Um ihn herum bäuerlicher Katholizismus. „Meine Kindheit möchte ich am liebsten vergessen.“ Die junge Mutter oft sitzend am Klavier. Adam möchte lieber lieb gehabt werden. Die Kautz bildet ihn lieber zum Einzelgänger aus. Mit der Schweiz kenne ich mich nicht gut aus. Sie ist mir zu neutral, zu teuer, zu bergig, zu zu zu… Ich lese über den klitzekleinen Ort im Kanton St. Gallen, wo Adams Lebensreise beginnt. 1950 gibt es dort 2556 Einwohner, aber keinen Bahnhof. Die Fotos, die mir die Google-Suche ausspuckt, sind voller Fachwerk und Berge. Die Leute im Dorf mögen Familie Kautz nicht. Warum musste der Mann im Hause auch eine Auswärtige ehelichen? Ich mag die Familie Kautz auch nicht. Nicht als Ensemble. Einzelne Mitglieder schon. Mir steht ab und an der Mund offen, wenn Adam erzählt. Sein dialektischer Singsang dämpft Einiges ab. Dennoch! Familie Kautz! Ich muss mit dir schimpfen! Du hast Adam kein kindgerechtes Nest gebaut, in dem er sich entfalten konnte. Und ich möchte keine Entschuldigungen hören. Andere Zeiten und so. Niemand steckt ein Kind in den Sack von Knecht Ruprecht, nimmt sein Kind mit zur Geliebten oder vergeht sich am Töchterchen. Nein!

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Das Leben des Monsieur Adam Kautz
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Das Leben des Monsieur Adam Kautz

Die Unzulänglichkeit

Das Deutsche Ärzteblatt sagt, dass Einnässen bis zum fünften Lebensjahr einer völlig normalen kindlichen Entwicklung entspricht. Adam pinkelt das Laken bis zum elften Jahr voll. Jeden Morgen wacht er in der Nässe auf. Dafür hagelt es Schläge. Weibliche Schläge. Madame Kautz versucht es mit Bestechung. Schweiz. Schokolade. Ein Versprechen. Adam und eine der Schwestern bleiben auf, die ganze Nacht. Hunger. Schokolade. Mutter Kautz: „Na geht doch!“ Insgeheim freute sie sich wahrscheinlich nur über nun weniger Wäsche. Adams Tränen des Heute wollen aus seinen Augen tropfen. Die Stimme bricht wieder und wieder unter den Erinnerungen zusammen. Wenigstens ist das Wasser warm, dass ich über ihn kippen lasse.

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Das Leben des Monsieur Adam Kautz
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Der Schmerz

„Man kann die Mutter einfach nicht nicht lieben.“

Adam Kautz
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Der Respekt

Was? Schon wieder ein Kautz? Die sind nix, die können nix, die haben nix! Der Nächste… Adam ist in der dritten Klasse. Das ist die Begrüßung seines Lehrers. Adam hat kaum bis keine Spielkameraden und Freude am Leben. Ein Umzug in die große Stadt. Aber die Mutter schickt ihn bald weg, auf einen Bauernhof, er ist zu frech für die Welt der Käutze. In der Ferne entdeckt Adam die Sexualität. Seine Sexualität. Er ist 14. Aus Freude wird schnell eine Belastung. Trieb. Stärke. Triebstärke. Plage. Mehrmals am Tag spürt der Pubertierende den Drang, sich befriedigen zu müssen. Adam hasst seinen Penis. Adam verletzt sich. Ihn. Er schämt sich. Auf dem Bauernhof ist niemand, dem er sich anvertrauen könnte. Alleinsein. Wieder. Lust. Worauf? Auf das richtige Leben? Zigaretten. Wein. Frauen. Mit 22 Jahren hat Adam seinen ersten Sex. Vorher machte er eine Ausbildung zum Blechner. Und noch davor war er ein kleiner kleiner Kleinkrimineller. Das spielt aber so eine kleine Rolle, dass ich es nur der Vollständigkeit wegen erwähnen möchte.

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Das Leben des Monsieur Adam Kautz
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Das Vertrauen

Eva trifft Adam. Adam heiratet Eva (1975). Noch heute sind sie ein Paar, bewohnen seit 2014 eine Doppelhaushälfte auf der deutschen Rheinseite, die Adams Hände und Evas Geduld geschaffen haben. Nach ihrer gemeinsamen Geschichte habe ich nicht wirklich gefragt. Eine kleine Episode fiel dennoch für mich ab und hinunter: Auch Eva hat acht Geschwister. Mit einer schwesterlichen Dame bewohnen Adam und sie eine gemeinsame Wohnung, sie sind jung. Adam fummelt an der Schwester Busen. Ihr Weg zu dritt trennt sich. „Es gibt nur eine Ehefrau!“ Adam ist da ganz klar, als er dies ausspricht. In allen Jahren macht ihm sein Trieb einen Strich durch die monogame Rechnung. Und doch: Eva & Adam! Gemeinsam walkt sich das Paar durch die Welt der Heilmassagen. Sogar eine Schule eröffnen sie. Fleißige Leute. Und Adam ist nun Lehrer. Manchmal schläft er viel zu wenig, raucht viel zu viel, trinkt den Roten literweise. Er ist ein Genießer. Unser Adam.

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Das Leben des Monsieur Adam Kautz
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Das Leben des Monsieur Adam Kautz

Die Liebe

„Ich lasse gerne in mich hineinschauen. Es gibt nichts Schöneres, als offen zu antworten.“

Adam Kautz

Adam schreibt am Valentinstag seine erste E-Mail an mich. Ich verweigere mich ja diesem kapitalistischen Liebesakt, dennoch erinnere ich mich so genau daran. Gegen Verknüpfungen, die ein Hirn spinnt, kann niemand sich wehren. Auch ich nicht. Er berührt mich damit, wie eine warme Hand, die Hand eines Vaters, eines Großvaters, die aus der Dunkelheit leicht die Schulter tätschelt, um zu sagen: „Ich bin hier mein Kind.“ Kinder bekommt Adam in den späten 1970ern. Töchter. Zusammen mit der lieben Eva, natürlich. Adam ist nicht stolz auf die beiden Damen, er erklärt mir, dass ihm das ja gar nicht zustünde. Aber er erfreue sich sehr an ihnen, er liebe sie. Er mag besonders, dass beide sich, wie er, am Genuss laben können. Die ältere arbeitet kreativ – mit Nadel und Faden, entwirft und kreiert. Die jüngere mag es pragmatischer, seit Neuesten widmet sie sich der Guten Gesundheit. Vielleicht ist er doch ein wenig stolz? Seine Augen blinken zumindest verdächtig, als er mir die beiden vorstellt. Noch eine Liebe stellt er mir vor. Die zum Gold. Über 60 Jahre ist Adam alt, als er mit dem Schürfen oder besser Waschen beginnt. In der Schweiz und Norditalien. In Flüssen. 60 Gramm in sieben Jahren, Naturgold. Sein Goldi-Tattoo auf dem rechten Unterarm erinnert ihn daran. Auf ewig.

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Das Leben des Monsieur Adam Kautz
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Das Leben des Monsieur Adam Kautz

„Für die kommenden Jahre hege ich den Wunsch, mittels der Fotografie noch etwas zu erschaffen, das einigen Menschen außergewöhnliche Dinge aufzeigt und vielleicht besondere Reaktionen auslöst.“

Adam Kautz

Die Selbstbestimmung

Mit 76 sterbe ich. Das sind Adams erste Worte unseres ersten Treffens. Wenn nicht die ersten, dann höchstens die zweiten. Adam besucht mal eine Wahrsagerin. Die orakelt dies. Aber sie irrt sich schon bei einer anderen Voraussage. Obwohl ich die Zahl 76 mag. Mein Geburtsjahr. Adam hat keine Angst vor dem Tod. Im Gegensatz zu mir. Ich hasse ihn. So sehr. Er möchte nur über ihn bestimmen – selbst. Den Part des „Henkers“ würde er auch bei einem Liebsten oder einer Liebsten übernehmen, wünscht sich dies ebenso. Möge ihm jemand, wenn er dies verlangt, doch bitte den Kelch mit dem Gifte reichen. Starker Tobak. Die Fronten sind geklärt. Alles, was Adam wichtig ist, kommt sofort auf den Tisch. Kein Zaudern, kein Zögern. Ich mag das. Ich wünsche mir mehr solche Menschen. Er sagt auch, dass er mich gerne hat. Er spricht sowieso sehr offen über Gefühle. Ich mag das, zum Zweiten. Mich berührt das ganz tief. Auch, wenn an der ein oder anderen Stelle schmerzhaft. Ich kann den Schmerz noch aushalten. Noch. Falls irgendwann nicht mehr, wünsche ich mir einfach etwas von Adams Selbstbestimmungskraft.

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Das Leben des Monsieur Adam Kautz

Die Angst

2016. Krebsleiden mit Operation und Bestrahlung. Adam hat eine signifikante Angst. Die Angst vor dem Schmerz. Sein Leben hat ja bereits eine Menge bereitgehalten. Davon. Schmerz schmerzt. Manchmal einfach zu sehr. Da helfen eben keine Tränen mehr und auch kein freundliches Hände halten. Kein nicht-aus-halt-barer Schmerz mehr. In Adams Leben. Howgh, ich habe gesprochen. Nein. Adam hat gesprochen.

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Das Leben des Monsieur Adam Kautz

Die Ewigkeit

Gold hinterlassen. Geld sowieso. Ein halbes Haus. Gene. Darum aber geht es nicht. Sein letzter Wunsch. Adams letzter Wunsch. Eine Spur. Ein Fußabdruck. Eine kreative Spur, ein kreativer Fußabdruck, etwas, woran sich die, die hinter ihm bleiben, ab-arbeiten können, nicht an der Trauer, sondern an der Aufgabe, die Adam ihnen mitgeben wird. Sein Medium. Wird die Fotografie sein.

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