Corbijn & Moon – Trennung & Verzauberung
Posted by Antje Kröger Photographie on Dez 27 2015, in Mensch
Anton Corbijn . Retrospektive im C/O Berlin Foundation . Amerika Haus & Sarah Moon „Now and Then“ im Haus der Photographie in den Deichtorhallen Hamburg
Zwei Künstler. Mann & Frau. Zwei Ausstellungen. Berlin & Hamburg. Musikalische Realität versus Zauberhafte Märchenwelten, Modefotografie, eine (meine) Erklärung.
Anton Corbijn
Solange ich fotografisch denke, verehre ich Anton Corbijn. Nein, ich verehrte Corbijn in meinem bisher-fotografischen Leben, so klingts runder.
Seine (musikalischen) Porträts, die Musikvideos zu Songs von Joy Division, Nirvana, Depeche Mode, die so tief in meinem Herzen sitzen, sein Film „Control“ – Werke, handwerklich so hervorragend, mich immer wieder be.rührend. Ich war so gespannt auf den Moment, wo ich all diese sehen würde, in einer Ausstellung. Vergangenen Sonntag war es soweit. Nach dem traditionell-familiären Spaziergang über den Weihnachtsmarkt fuhr ich ins c/o Berlin, um die Retrospektive anzuschauen – von meinen Emotionen danach war ich wohl selbst am meisten überrascht. Ich stand nach dem Rundgang vor dem „Museumsgebäude“ und fühlte nichts. Keine Befriedigung, keine Aufregung, kein Nach.denken, kein zufriedenes Lächeln. Reflexion, ganz anders als erwartet. Damit hatte ich einfach nicht gerechnet. Ich schaute auf die Uhr und stellte fest, dass ich insgesamt nur 30 Minuten für die zwei Ausstellungen „Hollands Deep“ und „1-2-3-4“, die sich über zwei Etagen erstrecken, gebraucht hatte. Ganz schön wenig. Aber ich erinnerte mich, ich war kaum „stehen geblieben“, habe kein Foto wirklich wirken lassen auf mich, hatte mich fast gelangweilt.
Damit komme ich auch jetzt, ein paar Tage später, noch nicht wirklich zurecht. Meine Gefühle trügen nicht, das zumindest weiß ich. Meine Liebe zu Corbijn hat sich verändert. Sie ist nicht „verflogen“, aber sie ist auch nicht mal mehr „lauwarm“. Die kleinen Zeichen vorher hatte ich einfach nicht ernst genommen (z. B. die Langweile beim Anschauen der letzten beiden Spielfilme). Ich selbst habe mich verändert – menschlich und künstlerisch. Dass aber ein Vorbild irgendwann einmal nicht mehr ein Vorbild sein würde, den Gedanken hatte ich bisher noch nicht gedacht.
Zum Ende des Jahres 2015 eine Trennung, sehr überraschend. Anton Corbijn und ich gehen nun offensichtlich unterschiedliche Wege. Das ist völlig in Ordnung so. Denn wahrscheinlich sind wir die schon immer gegangen, nur lag mein Weg mehr in einem Nebel, der sich nun nach und nach lichtet. Dennoch bin ich traurig und ein wenig wehmütig.
Sarah Moon
Ich verehre, ich liebe, bin verzaubert (von) Sarah Moon. Immer noch & immer wieder. Dieser Liebestaumelblick vernebelt meine Objektivität. Aber das macht nichts. Kunst ist eben emotional und wird einfach in ihrer Bewertung zu einem subjektiven Wahrnehmen.
So richtig erinnern kann ich mich nicht. Ich weiß nichts mehr über den Augenblick, als ich zum ersten Mal die Bilder von Moon sah. Aber ich weiß, dass sie mich seit einigen Jahren begleiten, immer wieder durch neue Verbindungen zu mir stoßen und ich gerne auch mit den biographischen Fakten, die von ihr bekannt sind, arbeite.
Die Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen ist wunderbar gedacht, die anmutende Schau zollt mir Respekt ab. Das Hauptaugenmerk dieser Retrospektive liegt auf den fünf Kurzfilmen von Moon. Drei Stunden hatte ich mir Zeit genommen, habe dennoch nicht geschafft, mir das kombinierte Werk aus Foto und Film in Ruhe anzusehen, wahrzunehmen, zu fühlen. Den Langfilm „Mississippi One“ sah ich nur in Auszügen. Drei Stunden waren viel zu wenig für all die Gefühle, die mich am vergangen Dienstag ereilten während ich und Sarah Moon einander begegneten durch ihre künstlerische Arbeit.
You have to believe in miracles and magic more than in photography. Sarah Moon
Wer ist, wer war diese Frau? So viel ist nicht bekannt, der spannendste Fakt vielleicht, dass sie irgendwann von vor der Kamera hinter die Kamera wechselte und die Modefotografie der 60er und 70er Jahre vor allem in Paris revolutionierte. Einige dieser Auftragsarbeiten sind zu sehen in den Deichtorhallen. Auch gibt es einen visuellen Einblick in ihre Arbeit in der Werbung. Der weitaus größere Teil der gezeigten Werke besteht aber aus ihren freien Arbeiten. Faszinierend – ihr Blick auf die Ebene zwischen Fotograf und fotografiertem „Etwas“, ihre Gefühle in Richtungen, die nicht immer klar erscheinen, das starke Fokussieren, das saubere und langsame Komponieren, die tierische und absurd landschaftliche Wahrnehmung. Sarah Moon schwebt so über allem, fast kann ich mir gar nicht eine wirklich lebende Frau vorstellen, die diese Bilderwelten erschafft. Da ist so viel „nicht-von-dieser-Welt“, so viel Anachronismus, so viel Transzendenz, so viel Schmerz, so viel Schönheit, so viel Vergänglichkeit.
Frauen leben länger als Männer, weil sie weinen. Mississippi One. Sarah Moon.
Kinder laufen. Märchen spielen. Liebe ist so stark, dass die Kehle trocken wird beim Zusehen. Die gezeigten Filme von Sarah Moon zogen mich in ihren Bann, von der ersten Minute an. Der Grundstoff, den sie nimmt und braucht, besteht aus bekannten Märchen und der Kombination aus bewegtem und stillem Bild – ein wunderbarer Kunstgriff. Kaum etwas ist so, wie es scheint. Die Grenzen verschwimmen, in die Realität möchte man kaum zurück. Kinder rennen, Frauen suchen, Männer sind tot oder krank. Die Abgründe und Schlünde beachtlich tief. Sarah Moons monotone Stimme liegt über den filmischen Werken, am Anfang störend, gewöhnte ich mich doch an sie und vergaß sie alsbald, weil meine Augen an ihren Bildern hingen. Sie hat einen so eigenen Begriff von Schönheit, von Leben und Evolution, von Liebe. Mehrmals während der drei Stunden in der Ausstellung und noch sehr häufig danach dachte ich so: ‚Achja, natürlich. Logisch, das ist die Lösung. So macht alles Sinn.“ Erklären kann ich das aber nicht. Mir fällt es überhaupt schwer, das in Worte zu fassen, was Sarah Moon mit mir machen kann. Selten gibt es zeitgenössische Künstler(innen), die mich interessieren. Die Französin ist eine davon. Sie berührt mich ganz tief, an einem Punkt, den ich selbst noch nicht so gut kenne.
lets try. live. waiting for emotion. shift the perpective. do nothing. hope and begin a play. beauty is passing by. wide open spaces. searching. performances. waiting for something. rare moments. twinkle in my eyes. Sarah Moon
Noch bis zum 21. Februar 2016 ist das Werk von Sarah Moon in den Deichtorhallen zu sehen & empfinden. Ich empfehle ausdrücklich!