Allaeddin
Posted by Antje Kröger Photographie on Okt 27 2015, in Mensch
Gerade aus Istanbul wiedergekommen, wo ich fast jeden Tag mit den Themen Krieg, Flucht & Religion konfrontiert war, ganz anderes als hier in Deutschland, viel deutlicher, viel dramatischer, roher, aber auch vielfältiger, traf ich Allaeddin aus Aleppo (Syrien) in Leipzig. Ich bin immer noch beeindruckt ob seiner bisherigen Lebensgeschichte, ein wenig sprachlos auch, glücklich über die verbrachten Momente (wir mussten uns beeilen mit dem Fotografieren, weil die Sonne nur noch wenige Minuten für uns übrig hatte). Nach unserem fotografischen Gespräch lud er mich zu einem arabischen Essen ein und vielleicht werden wir zusammen im kommenden Frühjahr in die Türkei reisen, wo seine Mama mit drei seiner Geschwister lebt.
Allaeddin wurde in den 90ern in Aleppo in Syrien geboren, er ist das älteste von fünf Geschwistern. Sein Papa studierte in den 80er Jahren in Leipzig und lebt in Aleppo. Seine Mama (eine Lehrerin) wohnt derzeit mit drei seiner Geschwister in der Türkei, ein weiterer Bruder lebt auch in Leipzig.
Als Allaeddin sechs Jahre alt war, zog die Familie nach Saudi Arabien, weil Papa dort einen Job hatte, sieben Jahre später zog die Familie zurück nach Aleppo. Dort lebte sie in einem Haus mit zwölf anderen Familien, der Balkon war mit über 20 Quadratmetern riesig und man spielte Karten auf dem flachen Dach oder rauchte Shisha. Allaeddin traf sich oft mit Freunden, um Filme zu schauen, die Wochenenden waren für Familienbesuche vorgesehen, die Familien sind groß in Syrien. Er machte seinen Schulabschluss und fing an Elektrotechnik zu studieren.
Im März 2011 begann der Krieg. Allaeddin nahm an einer Demonstration teil, weil er sich Freiheit wünschte. Er wurde festgenommen, neun Monate verbrachte er im Gefängnis (er war gerade 19), in einem Raum, der vier Quadratmeter groß war, 4 Quadratmeter für ihn und 80! andere Menschen, einmal waren es sogar 106. Schlafen mussten die Gefängnisinsassen mit angezogenen Beinen im Sitzen. Allaeddin wurde gefoltert, dachte, dass er sterben würde. Für 750 000 Lira (ca 1500 Euro) konnte seine Familie ihn aus dem Gefängnis freikaufen, aus dem 4-Quadratmeter-Raum, in dem jeden Tag 15 Leute starben, viele krank waren und Alpträume hatten, jede Nacht.
Nach der Haft flüchtete Allaeddin mit Mama und den Geschwistern in die Türkei. Der Vater kam in Aleppo ins Gefängnis. Drei Monate später rief Papa an und sagte ihm, er solle nach Deutschland „gehen“. Insgesamt würde die Flucht 7500 Euro kosten. Allaeddin fuhr nach Izmir in der Türkei, dann nach Griechenland, wo er für 75 Euro einen falschen Pass kaufte, von Griechenland flog er nach Rom, von Rom nach Berlin. In Berlin kaufte ihm ein Freund seines Vaters ein Zugticket nach Dortmund. Da gab es ein Auffanglager für Flüchtlinge. Angekommen in Berlin war er im Dezember 2014.
Von Dortmund ging es über viele kleine Zwischenstationen nach Leipzig, in die Stadt, in der sein Vater studiert und von der er seit Kindertagen nur das Beste gehört hatte.
Seit ein paar Monaten hat Allaeddin eine dreijährige Aufenthaltserlaubnis für Deutschland, eine eigene Wohnung, er lernt die deutsche Sprache, damit er bald sein Studium weiterführen kann. Auch sein jüngerer Bruder ist in Leipzig angekommen. Er ist noch keine 18 Jahre alt, seine Flucht kostete die Familie weitere 2500 Euro. Er ging zu Fuß von der Türkei bis nach Österreich (über Griechenland, Mazedoenien, Serbien, Ungarn), von Österreich über München nach Leipzig gab es einen Platz im Zug. Seine Mama ist mit den übrigen Geschwistern weiterhin in der Türkei. Sein Vater unterrichtet immer noch die wenigen Studenten in Aleppo, meist Frauen, denn die Männer sind geflohen, tot oder in den Gefängnissen.
Allaeddin hat zwischen 15 und 17 Menschen an den Tod verloren, Menschen, mit denen er zusammen zur Schule oder zur Uni gegangen ist. Ein Onkel wurde von der syrischen Armee erschossen. Er glaubt, dass der Krieg andauern wird, sieben oder sogar zehn Jahre. Er wünscht sich am meisten so etwas wie Normalität und dass schon bald seine Familie wieder vereint sein wird. Er will nicht immer traurig sein, braucht ein normales Leben, egal wo, er möchte studieren und später arbeiten, natürlich auch feiern, Spaß haben, all‘ das. Er will nicht immer an seine Vergangenheit denken, er steht morgens auf, trinkt seinen Kaffee und geht zur Schule, normal, wie in seiner Heimat auch. Allaeddin sagt, dass er einfach glücklich sein möchte, lachen und Kontakt zu Menschen haben.
Zum Schluss frage ich ihn nach seinem Glauben. Er glaubt an keinen Gott, das tat er noch nie, er will frei bleiben, mag keine Religionen.