Antje Kröger | Fotokünstlerin

Baltikum Okt*2024 – Lettland: Riga (II)

Posted by on Nov 17 2024, in Allgemein, Welt

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Am nächsten Morgen war es sehr trüb. Zwar hatte ich gut geschlafen, aber all die Erlebnisse des Vortages waren wahrscheinlich doch weniger gut verdaulich, als ich gedacht hatte. Dabei war heute mein Geburtstag. Auf meinem Handy blinkten schon Glückwünsche auf. Doch der Tag blieb trüb, die Wolken hingen vor der Sonne, und meine Laune wollte nicht besser werden. All das waren dennoch keine Gründe, Trübsal zu blasen – hinaus ging es.

Zuerst in die berühmten Markthallen von Riga – hinter dem Bahnhof. Besondere Freude hatte ich am Spiel der Möwen, die natürlich auf Nahrung aus waren. Die Markthallen sind nämlich eine Ode an das Essen und die Frische: Fleisch, Gemüse, Fisch, Obst, Nüsse, Milchprodukte, Blumen – ich war erschlagen von so großer Mannigfaltigkeit, die auch noch deutlich billiger und gesünder war, als die Waren in den Supermärkten. Spannend auch die Menschen in und um die Hallen herum – Menschen jeglicher Couleur. Es machte mir großen Spaß, sie zu beobachten und mit einigen auch ins Gespräch zu kommen. Ein russisches Damenpaar verkaufte Äpfel; die rothaarige Dame schälte gerade ein besonders schönes Exemplar mit ihrem handlichen Messer, steckte sich eine Spalte ins Mäulchen und schob die nächste Spalte in meine Richtung. Ich esse wirklich nicht gerne Äpfel, aber auf dieser Reise verspeiste ich so viele davon wie lange nicht mehr. Sie waren eben nun reif und lagen auch überall herum.

Auch am Nachmittag fand ich wieder frische Äpfel – in der Nähe der Gedenkstätte von Jānis Lipke. Aber auf dem Weg dorthin passierte noch einiges anderes. Denn von den üppigen Markthallen ging es zum ersten Mal mit dem Bus über den Fluss der Stadt, der Daugava – das ist der lettische Name, auf Deutsch: Düna. Jetzt befand ich mich im Stadtteil Kipsala, ging am Flussufer entlang, der Wind blies kräftig. Ich suchte mir eine Bank für ein kleines Picknick (hatte immer meine Tupperdosen mit Snacks im Rucksack). Ein Rabenvogel suchte das Gespräch mit mir. Er setzte sich zu mir, spreizte sein Gefieder. Mochte er mir etwas sagen? Mochte er mir Grüße ausrichten zu meinem Tag? Mochte er mir etwas erzählen von einem anderen Rabenvogel, der mir einst nahestand? Ich weiß es nicht, genoss seine Anwesenheit und beobachtete aus dem Augenwinkel, wie zwei Mädchen ihre Kleidungsstücke ablegten und in den Fluss liefen. Puh. Ich bibberte auf meiner Bank, die beiden mutigen Mädchendamen jedoch nahmen gleich das ganze Abhärtungs-Programm auf sich. Meinen Respekt zollte ich ihnen, verließ den Raben und den Fluss, mein Ziel: die Gedenkstätte Jānis Lipke.

Diese wurde 2012 eröffnet. Aber wer war denn Jānis? Zusammen mit seiner Frau Johanna rettete er während des Zweiten Weltkrieges 55 Juden aus dem Rigaer Ghetto. Wie tat er dies? Er hatte auf seinem Grundstück einen Bunker gegraben. Der erste fiel zusammen, er grub einen weiteren Bunker, holte Juden und Jüdinnen aus dem Ghetto und versteckte diese dort. Seine ganze Familie half dabei, auch Freunde und Bekannte unterstützten ihn. Diese Geschichte wird in der Gedenkstätte erzählt. Selten habe ich eine solch emotionale Ausstellung erlebt.

Die Gedenkstätte ist ein dunkles Holzhaus. Es wurde in der Nähe des originalen Schauplatzes, dem Haus von Jānis und Johanna, errichtet. Nach dem Eintreten ging es für mich einen langen, spärlich beleuchteten Gang entlang. Mich empfing ein junger Mann, der mir erklärte, wie die Ausstellung funktionierte, er überreichte mir einen Audioguide, mit dem er mich dann alleine ließ. Der Guide erzählte die gesamte Geschichte der Familie, der Juden in Riga zur Zeit des Zweiten Weltkriegs im Ghetto, des Bunkers, der Rettung. Dabei war es meist ziemlich dunkel um mich herum. Der Mensch im Raum soll das Bunkergefühl nachspüren.

Die Schreine mit den Fotos, Zeichnungen und allerlei anderen Dingen wurden erst erleuchtet, nachdem ich sie berührt hatte. So ein gefühliger Ort, wie viele Informationen – obwohl ich den ein oder anderen Fakt wahrscheinlich ob der englischen Sprache verpasst habe. Ich ging von diesem Ort mit viel neuem Wissen, ging später noch vorbei an einer im sowjetischen Stil gebauten blauen Schwimmhalle und wollte nicht mehr viel von meinem Tag, außer einer Flasche Wein und gutem Essen.


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