Zagreb-Triest-Ljubljana III (Okt 2023)
Posted by Antje Kröger Photographie on Okt 13 2023, in Mensch, Welt
Teil 3 / TRIEST
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TRIEST – Alcatraz, 80-kmh-Bora, nasse Füße, Zwiegespräch mit der Schönheit & ein gestohlener Regenschirm
Next Station: Triest, Norditalien. Vier Busstunden entfernt von Zagreb. Gekommen war ich, um die Synagoge anzuschauen und das jüdische Viertel. Bekommen habe ich zuallererst bei purem Sonnenschein „Alcatraz“ (Sozialbaukomplex Ater). Alles hatte ich mir vorstellen können von einer malerischen, norditalienischen Stadt, nur das nicht. 468 Wohnungen, zirka 2500 Bewohnerinnen. Gesehen hatte ich diesen Mammutbau (Hallo Zagreb!) schon aus dem Bus heraus beim Herunterfahren aus den Bergen zum Meeresspiegel nach Triest. Bereits da fragte ich mich, was dieses architektonische Werk, das ich bei purem Sonnenschein aus meinem Fenster betrachtete, wohl sein konnte. Als ich am Bahnhof ankam, meinen Stadtbus in meine Herberge nahm, staunte ich nicht schlecht, als mich das Gefährt in dessen Nähe ausspuckte. Zufall? I don‘t know. Ich nahm den Zufall natürlich bei der Hand und erkundete das Objekt, das mich stark an die Bauweise von Le Corbusier erinnerte. Begeisterung pur. So etwas Gigantisches hatte ich so noch nicht gesehen. So viele bemalte Wände, so viele farbige Elemente, die einen ziemlich guten Kontrast zum grauen Beton machten. So viele Autos. So viele Durchgänge, alle konnte ich nehmen, nur in die Fahrstühle traute ich mich nicht (Platzangst). So wenige Menschen. Es war Samstag. Vielleicht nutzten viele von ihnen den warmen Herbsttag, um am Meer abzuhängen. Das tat ich später auch kurz, nur mit mäßiger Begeisterung allerdings. Das Meer ist nicht mein Sehnsuchtsort. Auch hatte ich keinen Badeanzug dabei, das bedauerte ich allerdings ein wenig. Es war heiß und ich hätte Abkühlung gebrauchen können. So what. Kaufte ich mir eben ein Eis.
„Ater“ wurde zwischen 1969 und 1983 gebaut. Auch wenn der ganze Komplex mittlerweile ordentlich überholt wurde, bleibt der Ort ein Schauplatz für Vandalismus und Kriminalität, jedoch nicht vergleichbar mit Scampia in Neapel (Meine Reisereportage aus Neapel). Bewegen konnte ich mich ziemlich frei und die wenigen Menschen, denen ich begegnete, warfen mir ein freundliches „Salve“ entgegen. Freundlichkeit. Gutes Stichwort. Die vergangenen Tage hatte ich fast vergessen, dass Menschen auch „schön“ miteinander umgehen können. Zagreb war wohl der unfreundlichste Ort, an dem ich je war. Vielleicht habe ich die anderen Orte auch einfach vergessen. Sagen wir so, der unfreundlichste Ort der letzten fünf Jahre, bestimmt. Die Theorie meiner schweizerischen Mitbewohnerin in Zagreb: Alles Nazis. Ganz schön pauschal. Ja. Aber dieses Vorurteil kursiert über die Kroaten wegen ihrer Kollaboration mit den Deutschen im Zweiten Weltkrieg. Aber die Deutschen sind so unfreundlich ja nicht. Es muss also einen anderen Grund geben …
Zurück zu Triest. Die Stadt erinnerte mich ein wenig an Venedig. Wasser und viele Cafés. Zum Glück war Wochenende. Die Stadt hatte sich verschlossen, nur die Supermärkte waren offen und all die Etablissements, wo der gemeine Tourist sein Geld für das leibliche Wohl ausgeben konnte. Nach meinem kurzen Ausflug zum Meer fuhr ich mit dem Bus wieder den Berg hinauf zu meiner Herberge. An diesem Abend hatte ich keine Lust auf das Flair der Innenstadt. Ich wollte allein sein auf meinem Zimmer auf dem Berg. Von dort konnte ich sogar das Meer sehen. Ich ging noch in das kleine Restaurant nebenan etwas essen und schlief dann unruhig. Vielleicht spürte ich schon das Unwetter aufziehen.
Il Quadrilatero // ATER // Alcatraz
Zweiter und letzter Tag in Triest. Ich kaufte ein Tagesticket für den Bus, 3,40 Euro. Wer auch immer in Triest ist, sollte unbedingt den Bus nehmen, in alle möglichen Richtungen. Denn dieser kraxelt die Berge hinauf und hinab. Dies in einem Tempo, dass mir manchmal ganz schlecht wurde. Wie die Fahrerinnen ihre Gefährte durch die engen Gassen, oft mit Autos zugestellt, navigierten, war preisverdächtig. Mensch beachte aber unbedingt, dass immer eine Anzeige mit starker Geste nötig ist, um ein- und auszusteigen. Ich verstand schnell, dass ich meine Hand heraushalten musste, als wenn ich in Deutschland ein Taxi rufen würde, um den Bus an der Haltestelle zu stoppen. Im Bus musste ich den roten Knopf drücken, wenn ich wieder hinaus wollte, ansonsten wurde eben nicht angehalten. Pünktlich waren die Busse fast nie, manchmal rauschten sie auch einfach an mir vorbei und manchmal, das aber eher selten, hielten sie auch schon mal an, wenn ein Mensch ohne Haltestelle die Hand herausstreckte.
Triest und die Busse waren für mich ein großes Abenteuer. Bei diesem einen sollte es nicht bleiben. Denn das Wetter wurde an diesem Sonntag zu einem Unwetter par excellence. Regenfälle wie Sturzbäche. Alles schwamm. Bora-Winde bis zu 80 Kilometern die Stunde. Mehrmals am Tag war ich völlig durchnässt. Dennoch machte es Spaß, durch die Straßen zu streifen, jedoch erst, als ich aus lauter Verzweiflung über die Nässe von oben in einem Luxuscafé einkehrte, einen überteuerten Nero (Espresso) trank und mir einen Regenschirm „lieh“, von denen, die zu Hauf am Eingang auf ihre Herrchen und Frauchen warteten. Mit dem Schirm war es zumindest wieder möglich zu fotografieren, obwohl die Navigation von Schirm und Kamera und Bora-Wind doch ziemlich sperrig war. Manchmal sprangen die Kiele des Schirms aus ihren Ösen, der ganze Schirm bäumte sich auf und kämpfte gegen das Pusten des Windes an. Bestimmt starben an diesem Bora-Tag in Triest viele viele Schirme den Bora-Tod. Die ein oder andere Schirmleiche sah ich jedenfalls auf den Straßen und in den Mülleimern der Stadt liegen. Übrigens, die Toilettensituation war wieder typisch westeuropäisch, immer mit Kosten verbunden. Kroatischer Luxus ade.
Ungefähr zwei Stunden „verlor“ ich an den Regen. Erst harrte ich eine ganze Weile auf der Bank einer Bushaltestelle am Fußballstadion (Stadio Nereo Rocco) aus. Ich hatte davon gelesen, dass Künstlerinnen die Wände mit Graffitis verschönert hatten, das wollte ich mir anschauen. Saß ich also auf der Bank, starrte die bunten Wände des Stadions an, Autos fuhren vorbei, nach kurzer Zeit waren meine Füße klatschnass. Denn die Autos nahmen NATÜRLICH jede Pfütze mit Freude mit. An Losgehen war nicht zu denken. Regen-Inferno von allen Seiten und feinstes Gewitter vom Meer kommend. Also nahm ich den nächsten Bus ins Zentrum, um wenigstens in einem warmen Café auf das Ende dieses Infernos zu warten. Auf dem Weg ins Café suchte ich die Synagoge von Triest. Auch ein Brachialbau, ein wunderschöner. Die Synagoge gehört zu den größten Europas. Als ich sie näher betrachten wollte, kamen drei Soldaten mit Maschinengewehren auf mich zu und machten mir ziemlich schnell klar, dass ich genug Abstand zur Synagoge halten solle. Okay. Ziemlich hitzige Zeiten seit dem Überfall der Hamas auf Israel. Aber was sollte ich dem Gebäude denn antun? Ich ging um die Synagoge herum, es waren ja sowieso kaum andere Menschen auf der Straße unterwegs. Drei Männer mit Gewehren gegen mich. Dennoch ließ ich es mir nicht nehmen, Fotos zu machen, mir die Bauweise und die Symbolik anzuschauen, bevor ich in das nahe Luxus-Café abschwirrte, um mir meinen Schirm „abzuholen“ (2,80 Euro für einen Negro im Tausch gegen einen Schirm erschienen mir okay ;)), damit ich weiter durch das jüdische Viertel streifen konnte. Bonjour Tristesse in Trieste. An diesem Tag ergab dieser Satz Sinn. Die Straßencafés waren leer, Stühle umgekippt, die Menschen hasteten nur durch die Gegend, wenn sie mussten, Touristen flüchteten in Museen und Restaurants, die Boote auf dem Canal de Grande liefen voller Wasser… Nur die Sportler wieder, ein paar Jogger liefen an mir vorbei, und ich musste über mein inneres Kopfschütteln lächeln. Ich hatte ja eine Aufgabe, und ich war nur für zwei Tage in die Stadt gekommen, aber warum um Himmels Willen joggten die? Jetzt? Der Regen ließ ein wenig nach, der Wind dagegen nahm zu. Manchmal musste ich mich festhalten, um nicht umgepustet zu werden! Erst beobachtete ich das raue Meereswasser, dann streifte ich durch die engen Gassen. Ab und an brach ein Lichtstrahl durch die Wolken. Es war Sonntag. Die Straßen waren so menschenleer, wie ich es nur aus der kleinen Stadt kannte, in der ich aufgewachsen war. Schon immer hasste ich die Tristesse des Sonntags. Vor ein paar Jahren änderte sich dieses Bild. Jeden Sonntag hatte ich eine Verabredung zum Gespräch. Ich liebte diese Verabredung. Sie fand immer statt. Höchstens eine Handvoll Ausfälle, die aber immer nachgeholt wurden. Leider starb mein sprechendes Gegenüber vor Kurzem. Worte können gar nicht beschreiben, wie sehr ich diese Gegenüber-Worte vermisse. Dafür hasse ich Sonntage wieder. Der Sonntag in Triest aber war gut. Ohne Hass. Der Bora-Wind wehte meine Gedanken wild durcheinander, und die Leere der Straßen gab mir ein Gefühl von Zwiegespräch mit der Schönheit! Bevor das Licht an diesem Tag verschwand, nahm ich noch einmal den Bus zum Fußballstadion. Dort endete meine fotografische Arbeit für diesen Tag. Danach machte ich noch eine abenteuerliche Fahrt zurück in meine Herberge mit einem verrückten Busfahrer.