Antje Kröger | Fotokünstlerin

Geisterbann

Posted by on Aug 31 2024, in Mensch

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Die August-Nachmittagssonne warf lange Schatten durch die Fenster des von konzentrierter Aufmerksamkeit erfüllten quadratischen Raumes, in dem sich diese zwei Frauenzimmer gegenüber saßen. Die Besucherin, eine zierliche Gestalt in osteuropäischer Anmut, hielt ihre Kaffeetasse fest umklammert, als wäre sie Halt in einer aufmüpfigen See. „Es ist seltsam, wie sich das Leben gerade anfühlt“, begann sie, ihre Stimme leise, fast schüchtern. „Ich fühle mich umgeben von ghostssss. Nicht die Art von Geistern, vor denen man sich fürchtet – obwohl, vielleicht doch. Es sind Menschen, die sich wie Schatten in mein Leben gedrängt haben und nun schweigen.“

Die Zuhörerin, eine Frau mit warm neu-gierigem Gesicht, lehnte sich leicht zurück. Sie lächelte in sich hinein, ein spitzbübisches Lächeln. „Geister“, dachte sie, während die Worte der anderen durch den Raum schwebten. Auch sie hatte gerade Besuch von einem „Klein“-Geist in ihrem Leben. Lange war es geister-los um sie herum gewesen. Doch anders als bei ihrer Besucherin war dieser Ghost ihr kein Fluch, sondern beinahe schon Geschenk. Er war still und unscheinbar, aber er brachte ihr Herz zum Klopfen, eine Freude, die sie lange vermisst hatte. Früher, als sie noch ein Mädchen war, hatte sie sich sehr gefürchtet vor den Geistern . Auf dem Rummelplatz hatte sie immer unbedingt in die Geisterbahn gewollt, aber sobald der Wagen sich in Bewegung setzte, kniff sie die Augen fest zusammen. Sie konnte die Schrecken kaum ertragen. Und dann waren da die Nächte, in denen sie die Anwesenheit ihrer Ahnen spürte. Einer von ihnen, der geliebte Vater, saß oft auf ihrem Schrank und beobachtete sie während des Schlafes. Damals hatten diese nächtlichen Besuche ihr große Angst eingejagt.

Dieser neue Geist aber war anders. Er war kaum wahrnehmbar und doch so präsent. Er forderte nichts, bot keine Drohungen, brachte kein Unbehagen. Im Gegenteil, er schenkte ihr eine leise Freude, ein Gefühl der Leichtigkeit, das sie lange nicht fühlen konnte. Während sie der Besucherin lauschte, dachte sie darüber nach, wie eigenartig das Leben doch war, dass etwas, was einst Furcht auslöste, nun so etwas wie Trost spenden konnte.

Während beide Frauen sich ihren Gedanken hingaben, erhob sich aus der Stille des Raumes eine dritte Stimme, eine Stimme, die aus der Geister-Welt zu ihnen sprach. „Ich bin nicht unsichtbar, aber unsicher“, sprach der hüllenlose, seine Worte schwangen wie Echos durch den Raum. „Ihr denkt, ich habe mich dafür entschieden, ein Geist zu sein? Glaubt mir, das habe ich nicht. Man hat mir diese Rolle aufgezwungen, wie ein altes, unpassendes Kleidungsstück, das man nie tragen wollte. Ich fühle nichts, das ist das Schlimmste. Wisst ihr, wie schrecklich es ist, so durchlässig zu sein? So schwammig, so verdammt? Immer das Gefühl des Auflösens im Schlepptau, nie ganz da, nie ganz fort.“

Die Besucherin starrte in die eine Ecke des Raums, die Zuhörerin vergaß kurz das Atmen. Hatte es direkt in ihre Gedanken gesprochen? Beide schauten sich fragend an. Ein unsichtbares Band formte sich zwischen den Frauen und dem Geist, eine Verbindung, die durch die gemeinsamen Gefühle von Angst, Verwirrung, aber auch seltsamer Zuneigung geknüpft wurde. Die Besucherin sah ihre eigenen Geister in neuem Licht, sah sie nicht nur als Last, sondern auch als beschädigte Seelen, die genauso gefangen waren wie sie selbst. Die Zuhörerin fühlte eine tiefere Verbindung zu ihrem kleinen Geist, verstand seine Zerbrechlichkeit und seine stille Traurigkeit, die sie bisher nicht in ihrer Wucht wahrgenommen hatte.

Und so schienen die Grenzen zwischen allen Welten zu verschwimmen. Die Geister, die Frauen, sie alle begannen einen verwebenden, fast unmerklichen Tanz, der in die Dunkelheit hinein sickerte und in den Herzen der beiden Frauen eine seltsame Erregung hinterließ.


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Der Wandel war unaufhörlich, und vielleicht würde die Verwandlung nie aufhören. Hohe Zinnen des Denkens, Gewohnheiten, die so dauerhaft wie Stein gewirkt hatten, verschwanden bei der Berührung mit einem anderen Geist wie Schatten und hinterließen einen nackten Himmel, an dem neue Sterne funkelten. (Virginia Woolf, Orlando)


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