Geisterbahn
Posted by Antje Kröger Photographie on Sep 15 2024, in Mensch
Geister zu bannen war gestern, heute ist: lasst die Geister sich ihre Wege bahnen. Eine Welt funktioniert nicht ohne sie, eine Welt braucht sie; nur mit ihnen ist eine Welt vollständig. Eine Entscheidung darf jedoch individuell getroffen werden: Will ich ein Geist sein? Will ich Angst verbreiten? Will ich unsichtbar daherkommen? Will ich vergangen oder unerledigt sein? Will ich in trauriger Erinnerung bleiben? Will ich in der Vergangenheit festhängen? Will ich aus der materiellen Welt verschwinden? Will ich mit dem Unerklärlichen und dem Tod auf ewig verbunden sein? Will ich Sünde und Schuld auf mich genommen haben?
Oh. Kann solch eine Entscheidung wirklich getroffen werden von einem gewöhnlichen Menschlein? Ist so weites Denken überhaupt möglich, mit den Bordmitteln unseres menschlichen Seins? Unwahrscheinlich. Also doch ein Schicksal, dieses geisterhafte Sein? Die Geister, die ich rief; einfach nur ein Ausspruch, der nicht taugt? Ich kann doch nichts rufen, das mir unbekannt ist. Ich kann doch nichts begehren, was mir Angst macht. Ich kann doch nicht wollen, mit der Durchlässigkeit in Bekanntschaft zu geraten. Wie viele Geister schwirren denn da draußen umher? Gibt es eine ungefähre Vorstellung ihrer Anzahl? Ständig sind sie in aller Munde, aber wir haben gar keine Ahnung, in welcher Menge sie uns entgegentreten können, uns Nicht-Geistern. Ist das Gegenteil eines Geistes ein Nicht-Geist? Was macht einen Nicht-Geist aus? Wieder mehr Fragen als Antworten. Aber das ist gut so, denn so bleibt für jeden Moment des Lebens etwas, über das sich nachzudenken lohnt. Bin ich vielleicht selbst ein Geist? Manchmal? Immer? Oft? Sagen wir mal so. Mir persönlich, die, diesen Text jetzt gerade wahrhaftig verfasst (wenn auch mit dem ein oder anderen Gläschen befüllt in Rot) ist das geisterhafte fremd. Ich antworte. Ich trete gegenüber. Bin nicht gemacht, für verklärte Erinnerungen, hänge nicht fest in Zwischenwelten, gehe, wenn, unter mit wehenden Fahnen, aufrecht und nicht Furcht verbreitend und zerstörerisch. Und ja, dies ist Selbstwahrnehmung, wieso soll mich auch eine fremde Meinung interessieren in diesem Moment der Selbstreflexion?
Und schließlich brauchte er jemanden, um mit ihm Champagner zu trinken und über dem Glas einen amüsierten Gedankenaustausch zu pflegen, über Rußland und den »russischen Geist«, über Gott im allgemeinen und über den »russischen Gott« im besonderen, und zum hundertsten Mal die allen sattsam bekannten und von allen auswendig gewußten Anekdoten über die russischen skandalösen Zustände zu wiederholen. Auch dem Stadtklatsch war er keineswegs abgeneigt und fällte manch strenges, hochmoralisches Urteil. Wir befaßten uns mit dem allgemein Menschlichen, erörterten ernsthaft das künftige Schicksal Europas und der Menschheit, weissagten doktrinär, daß Frankreich nach der Epoche des Cäsarismus mit einem Schlage auf die Stufe eines zweitrangigen Staates absinken werde, und waren vollkommen überzeugt, daß dies schrecklich schnell und spielend leicht geschehen müsse. Fjodor Dostojewskij, Böse Geister
Werbung
NÄCHSTER FOTOWORKSHOP