Sinn – e s – lust in Tannhausen
Posted by Antje Kröger Photographie on Apr. 10 2025, in Mensch

von A. Kröger & A. Tcherkassova
1990. Der Heldentenor – mein Protagonist – hängt seinen blauen Tannhäuser-Mantel – er ist leuchtend blau, mit Gold abgesetzt am Kragen und der Knopfleiste – an den Garderoben-Nagel. Für immer. Nie wieder Oper. Nie wieder Richard Wagner.
Die Damen der Kostümabteilung hatten ihn einst mit Sorgfalt auf seinen großen Körper genäht. Über ein Jahrzehnt lang trug er ihn – zwischen Venusberg und Wartburg, Nacht für Nacht
Doch jetzt war Schluss.
Leipzig, die Stadt seiner Stimme – Wagners Geburtsstadt, aber auch der Ort der friedlichen Demonstrationen. Der Platz der Transformation: von Ost zu West, von sozial zu kapital, von stumm zu laut, von verschlossen zu offen.
Der hübsche, gar nicht so schwere Mantel – einst wie seine zweite Haut – war ihm nun zu eng geworden.
– Tannhäuser. Ein Mensch im Aufruhr. Der zu viel fühlt, zu viel will – und daran fast zerbricht. Charismatisch, expressiv, magnetisch. –

Rückblende.
- Der Geruch von Braunkohle am Morgen.
- Rauchende Schornsteine.
- Quietschende Straßenbahnen.
- Schwere, graue Bühnenwände, die mühsam verschoben werden.
- Tonmeister mit Schnurrbart und Karohemd und Dauerwelle.
- FDJler mit Pflichtkarten in der ersten Reihe.
- Zuschauer mit Thermoskannen in den Manteltaschen.
- Klirrend kalter Zuschauersaal.
- Hinter der Bühne: Aluminiumtassen, Wurststulle, Kassettenrekorder. Aschenbecher.
- Proben unter Neonlicht.
- Ein flüsterndes Fluchen, weil „die Partei“ eine Szene kürzen will.
Als er das erste Mal die Stufen der Leipziger Oper betrat, war er ein junger Bursche. Frisch ausgebildet, mit einer Stimme, die noch nicht wusste, was sie alles leisten konnte. Er sang sich durch kleinere Rollen, Diener, Boten, Knappen, dann der Wolfram, dann, endlich: Tannhäuser. Die Figur, die sich zerrieb, spiegelte sein eigenes inneres Schwanken. Die Lust am Leben, am Körper, am Rausch. Daneben die Gesellschaft (der DDR):
Mutter, Vater, Kind. (Kind)
Küche, Bad, Balkon.
Modern hochgezogener Plattenbau mit all seinen Luxuselementen: keine Kohle mehr schleppen, dafür Fernwärme. Warmes Wasser aus der Leitung.
Ein Fernseher mit zwei Programmen.
Ein Kinderzimmer mit Schrankwand.
Und er?
Er war klug, schön, voller Stimme – und zerrissen.
Niemand jedoch wollte wissen, wie sehr ihn die Lust zerrte, die Sehnsucht nach Berührung. Alles musste in geregelten Bahnen verlaufen. Auch das Fühlen. Auch die Liebe. Auch die Lust. Auch das Begehren.
Wieder 1990. Er nimmt die Stufen der Leipziger Oper langsam, ein letztes Mal. Jeder Stein unter seinen Füßen kennt ihn. Er weiß, dass er nicht zurückkommen wird.
Nicht als Sänger. Nicht als Tannhäuser. Die Angst sitzt auf seinen Schultern. Jetzt ist der Moment. Er will leben. Er will tanzen, stürzen, vögeln, trinken, sprechen, lachen, schweigen. Er will die Welt. Nur mit Stimme. Und Hunger. Und Zeit.
PART eins












PART zwei



















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