Ich wollte ja nichts als das zu leben versuchen…
Posted by Antje Kröger Photographie on Mai 06 2012, in Mensch
„Um meine Geschichte zu erzählen, muß ich weit vorn anfangen. Ich müßte, wäre es mir möglich, noch
viel weiter zurückgehen, bis in die allerersten Jahre meiner Kindheit und noch über sie hinaus in die Ferne
meiner Herkunft zurück.
Die Dichter, wenn sie Romane schreiben, pflegen so zu tun, als seien sie Gott und könnten irgendeine
Menschengeschichte ganz und gar überblicken und begreifen und sie so darstellen, wie wenn Gott sie sich
selber erzählte, ohne alle Schleier, überall wesentlich.
Das kann ich nicht, so wenig wie die Dichter es können. Meine Geschichte aber ist mir wichtiger als
irgendeinem Dichter die seinige; denn sie ist meine eigene, und sie ist die Geschichte eines Menschen nicht
eines erfundenen, eines möglichen, eines idealen oder sonstwie nicht vorhandenen, sondern eines
wirklichen, einmaligen, lebenden Menschen.
Was das ist, ein wirklich lebender Mensch, das weiß man heute allerdings weniger als jemals, und man
schießt denn auch die Menschen, deren jeder ein kostbarer, einmaliger Versuch der Natur ist, zu Mengen
tot.
Wären wir nicht noch mehr als einmalige Menschen, könnte man jeden von uns wirklich mit einer
Flintenkugel ganz und gar aus der Welt schaffen, so hätte es keinen Sinn mehr, Geschichten zu erzählen.
Jeder Mensch aber ist nicht nur er selber, er ist auch der einmalige, ganz besondere, in jedem Fall
wichtige und merkwürdige Punkt, wo die Erscheinungen der Welt sich kreuzen, nur einmal so und
nie wieder.
Darum ist jedes Menschen Geschichte wichtig, ewig, göttlich, darum ist jeder Mensch, solange er irgend
lebt und den Willen der Natur erfüllt, wunderbar und jeder Aufmerksamkeit würdig.
In jedem ist der Geist Gestalt geworden, in jedem leidet die Kreatur, in jedem wird ein Erlöser gekreuzigt.
Wenige wissen heute, was der Mensch ist. Viele fühlen und sterben darum leichter, wie ich leichter
sterben werde, wenn ich diese Geschichte fertig geschrieben habe.
Einen Wissenden darf ich mich nicht nennen.
Ich war ein Suchender und bin es noch, aber ich suche nicht mehr auf den Sternen und in den Büchern,
ich beginne die Lehren zu hören, die mein Blut in mir rauscht.
Meine Geschichte ist nicht angenehm, sie ist nicht süß und harmonisch wie die erfundenen Geschichten,
sie schmeckt nach Unsinn und Verwirrung, nach Wahnsinn und Traum wie das Leben aller Menschen,
die sich nicht mehr belügen wollen.
Das Leben jedes Menschen ist ein Weg zu sich selber hin, der Versuch eines Weges, die Andeutung
eines Pfades.
Kein Mensch ist jemals ganz und gar er selbst gewesen; jeder strebt dennoch, es zu werden, einer dumpf,
einer lichter, jeder wie er kann. Jeder trägt Reste von seiner Geburt, Schleim und Eischalen einer Urwelt,
bis zum Ende mit sich hin. Mancher wird niemals Mensch, bleibt Frosch, bleibt Eidechse, bleibt Ameise.
Mancher ist oben Mensch und unten Fisch.
Aber jeder ist ein Wurf der Natur nach dem Menschen hin. Und allen sind die Herkünfte gemeinsam,
die Mütter, wir alle kommen aus demselben Schlunde; aber jeder strebt, ein Versuch und Wurf aus den
Tiefen, seinem eigenen Ziele zu. Wir können einander verstehen; aber deuten kann jeder nur sich selbst.
Ich beginne meine Geschichte mit einem Erlebnisse der Zeit, wo ich zehn Jahre alt war und in die
Lateinschule unseres Städtchens ging.
Viel duftet mir da entgegen und rührt mich von innen mit Weh und mit wohligen Schauern an,
dunkle Gassen und helle Häuser und Türme, Uhrschläge und Menschengesichter, Stuben voll
Wohnlichkeit und warmem Behagen, Stuben voll Geheimnis und tiefer Gespensterfurcht.
Es riecht nach warmer Enge, nach Kaninchen und Dienstmägden, nach Hausmitteln und getrocknetem
Obst. Zwei Welten liefen dort durcheinander, von zwei Polen her kamen Tag und Nacht.
Die eine Welt war das Vaterhaus, aber sie war sogar noch enger, sie umfaßte eigentlich nur meine
Eltern. Diese Welt war mir großenteils wohlbekannt, sie hieß Mutter und Vater, sie hieß Liebe und
Strenge, Vorbild und Schule.
Zu dieser Welt gehörte milder Glanz, Klarheit und Sauberkeit, hier waren sanfte freundliche Reden,
gewaschene Hände, reine Kleider, gute Sitten daheim.
Hier wurde der Morgenchoral gesungen, hier wurde Weihnacht gefeiert.
In dieser Welt gab es gerade Linien und Wege, die in die Zukunft führten, es gab Pflicht und Schuld,
schlechtes Gewissen und Beichte, Verzeihung und gute Vorsätze, Liebe und Verehrung, Bibelwort und
Weisheit.
Zu dieser Welt mußte man sich halten, damit das Leben klar und reinlich, schon und geordnet sei.
Die andere Welt indessen begann schon mitten in unserem eigenen Hause und war völlig anders,
roch anders, sprach anders, versprach und forderte anderes.
In dieser zweiten Welt gab es Dienstmägde und Handwerksburschen, Geistergeschichten und
Skandalgerüchte, es gab da eine bunte Flut von ungeheuren, lockenden, furchtbaren, rätselhaften Dingen,
Sachen wie Schlachthaus und Gefängnis, Betrunkene und keifende Weiber, gebärende Kühe,
gestürzte Pferde, Erzählungen von Einbrüchen, Totschlägen, Selbstmorden.
Alle diese schönen und grauenhaften, wilden und grausamen Sachen gab es ringsum, in der nächsten
Gasse, im nächsten Haus, Polizeidiener und Landstreicher liefen herum.
Betrunkene schlugen ihre Weiber, Knäuel von jungen Mädchen quollen abends aus den Fabriken,
alte Frauen konnten einen bezaubern und krankmachen, Räuber wohnten im Wald, Brandstifter wurden
von Landjägern gefangen – überall quoll und duftete diese zweite, heftige Welt,überall, nur nicht in
unsern Zimmern, wo Mutter und Vater waren.
Und das war sehr gut.“
Hermann Hesse, Demian
Sally
ich sterbe.
diese serie ist der wahnsinn!
du & dein model, eure bilder wirken wie verhext, so viel sinnlichkeit – der text dazu – unglaublich gut!!!!
roberuto
Cool!! I like all!!
Very sexy and beautiful model!
Kristin
Genial – Text und Bilder, passen perfekt. So viel Erotik spürt man.
Georg
Das ist eine sehr schöne und vor allem erotische Bilderserie. Die ist sehr gut fotografier und gefällt mir sehr gut.
Carsten
Hey Antje, sehr schöne Serie. Die Bilder am Fenster mit den Spiegelungen gefallen mir am besten. Das Spiel mit der Unschärfe, zusammen mit den Spiegelungen, gibt eine gehaltvolle Tiefe.
Chris
Wunderbare Fotos. Wunderbarer Text. Hab es mir ein drittes mal an geschaut und durchgelesen.
Vielen Dank
LG
Chris