Antje Kröger | Fotokünstlerin

So ver-rücken Realität und mediale Wirklichkeit

Posted by on Mrz 05 2016, in Mensch

So ver-rücken Realität und mediale Wirklichkeit

 

Durch die sensible Vorstellung meiner Kunst im Onlineauftritt des Sterns ist das mediale Interesse an meinen Bilderwelten derzeit groß. Es geht um meine Serie: Man reist ja nicht, um anzukommen

Recht schnell nahm eine Redakteurin der Brigitte Kontakt zu mir auf. Sie fragte mich, ob sie meine Körperbilder auf der Website veröffentlichen könne. Ich schickte ihr Links von verschiedenen Serien, die dieses Thema „beinhalten“… und ich sendete auch Worte, weil ich gerade mitten in einem Shooting steckte und so nicht per Telefon zur Verfügung stand. Ohne mein Einverständnis wurde dann heute morgen einfach der folgende Artikel über meine Arbeit veröffentlicht. Warum schreibe ich das? Weil ich früher selbst Journalistin war, weil ich Journalistik studiert habe, weil ich darum bitten möchte, dass jeder seine kritisch, menschliche Betrachtungsweise behält, ohne den Medienmachern auf den Leim zu gehen! Ich habe folgende Worte zu meiner Kunst an die beiden Redakteurinnen der Brigitte gesendet:

 

So ver-rücken Realität und mediale Wirklichkeit

So ver-rücken Realität und mediale Wirklichkeit

So ver-rücken Realität und mediale Wirklichkeit

So ver-rücken Realität und mediale Wirklichkeit

Liebe *,

derzeit habe ich viel um die Ohren, denn am Sonntag fliege ich nach Russland, deshalb nur in Kürze oder eben nicht so viele Worte, wie ich eigentlich sagen würde wollen, denn ich halte meine Kunst für wichtig, deshalb ist sie zurecht sehr erfolgreich und ich bekomme viel Post und Feedback von Menschen, die ich sehr berühre!

Ich finde es schade, wenn ihr Euch begrenzt auf die eine Serie. Denn es ist nur  eine „kleine“ Sichtweise“ von Körper, ich fotografierte und fotografiere so viele andere Sichtweisen, Spuren, Erinnerungen, Schmerzen… ich möchte auch keinesfalls in die Richtung „Ess-sucht“ gedrängt werden, mit der Nur.Sicht auf diese Serie. Es ist ein Thema, mit dem ich mich sehr ausgiebig beschäftige, aus meiner eignen Biographie heraus, die Menschen, die daran leiden, leben, kommen zu mir, aber nicht, um ein Mahnmal zu sein, sondern um mit mir Kunst zu machen. Deshalb nehme ich selbst Worte wie Magersucht und Adipositas niemals in den Mund und finde deswegen die Frage danach ziemlich banal! Die Menschen vor meiner Kamera sind meist „anders“, das heißt aber noch lange nicht, dass sie krank sind. Sie können dies sein, aber mit welchem Recht nehmen wir uns in dieser neoliberalen kapitalistischen Welt heraus, die Menschen in diese Schubladen zu packen, vor allem in die „gesund“ und „krank“ oder „fit“ und „unfit“ „schön“ und „hässlich“ „relevant“ oder „irrelevant“? …mich interessieren die Geschichten dahinter. Mich interessieren die Stärke und die Schwäche der Menschen, mich interessieren das Leben, die Liebe, die Nähe, der Schmerz, die Abgründe, die Gedanken, die Ideen. Mich interessieren Spuren, ich mag Menschen, die Grenzen überwinden und ich zeige sie fast nie in einer dokumentarischen Atmosphäre. Nein, ich inszeniere. wir spielen. Ich und die Menschen vor meiner Kamera. Ich objektiviere manchmal sie und manchmal mich. Ich demaskiere, ohne respektlos zu sein. Ich benutze den Körper als Projektionsfläche, ich mache Kunst.

Hättet ihr auf meiner Homepage ein wenig mehr recherchiert (ich war früher selbst Journalistin, wüsstet ihr einfach schon alles über mein Denken und Schaffen), denn ich habe schon sehr oft darüber geschrieben auf meinem Blog, weil ich schon das Gefühl habe, ich muss mich immer wieder erklären. z.B. warum hat ein Mensch Narben, nur ein Bein, Schambehaarung, ist dünn, dick, fett? Das ist das Geheimnis des Bildes. Ich bin keine Journalistin mehr, sondern Künstlerin, die über das Bild spricht. Egal, ob das zweite Bein von Geburt an nicht da war/ist oder es beim Autounfall abgetrennt wurde. Egal, ob sie dick ist, weil sie das Essen braucht, um ihren tiefen Hunger zu stillen oder sie eben nur gern isst. Das ist überhaupt nicht relevant, sondern mir ist wichtig, dass etwas mit dem Rezipienten passiert. Dass es ihn ekelt, zum Weinen bringt, staunend macht oder traurig…

Man reist ja nicht um anzukommen“: diese Serie ist für mich sehr wichtig, weil ich mit der Veröffentlichung eine Tür geöffnet habe, eine Tür oder eine Grenze überschritten, es war damit noch klarer als vorher, dass ich mit und in meinen Bilderwelten leben will. Ein Jahr nachdem die Serie entstanden ist, habe ich sie veröffentlicht. Falls ihr es nicht „verstanden“ habt, ich bin ein Teil dieser Serie. Mit dieser Serie habe ich viele Menschen schweigend gemacht und sie steht für die große Liebe. Die große Liebe zum Leben, zum Kampf, zum Anderssein. Mit dieser Serie habe ich allen gezeigt, dass ich es ernst meine und auch, wenn schon so viel Zeit vergangen ist, so viele neue Geschichten in mein Leben gekommen sind, überrascht es mich immer wieder, dass diese Fotos mich noch immer selbst so berühren, dass ich sie anlächle, dass sie immer der Beginn einer wichtigen Geschichte in meinem Leben sein werden und leider auch ein großer Schmerz, weil mit jedem Anfang ein voriges Ende einhergeht. Aber das ist meine sehr persönliche Geschichte und ich muss weinen, wenn ich das hier gerade aufschreibe, deswegen höre ich einfach auf.

Über Email bin ich immer erreichbar.

Ich hoffe, ihr könnt mit meinen Worten etwas anfangen,

Liebste Grüße aus Leipzig

Antje

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  • […] alles zu diesem, meinem Unglücksfall habe ich in einem anderen Beitrag  zusammengefasst – hier entlang. Danach habe ich alle Veröffentlichungsanfragen abgelehnt, von RTL, PRO7, der Bildzeitung, […]

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