SERBIEN Okt*2025: Belgrad I
Posted by Antje Kröger Photographie on Okt. 29 2025, in Mensch, Welt
- SERBIEN Okt*2025: Belgrad I
- SERBIEN Okt*2025: Novi Sad
- SERBIEN Okt*2025: Niš
- SERBIEN Okt*2025: Belgrad II
Serbien im Oktober
Drei Städte: Belgrad, Novi Sad, Niš.
Und wieder Belgrad – diese Betonburg.Viele krude Busfahrten,
mindestens ein Eis am Stiel pro Tag,
wundervoll freundliche Menschen.
Deutsch statt Englisch als Verständigung,
Baulärm, Sonnenstunden, Müdigkeit.Bloks.
Buntes Gemüse – Paprika, Tomaten, Auberginen –
in wilden Massen auf wilden Märkten.
Wandmalereien, Flusswasser, Kraft.
Blockaden, Freiheit, Botschaften.Teure Lebensmittel in kleinen Supermärkten,
Jogginganzüge, verrückte Hunde als Haustiere,
fast keine Straßenköter mehr.Armut. Alte Menschen. Demonstrationen.
Geschichte, Kosovo, Friedhöfe,
Sinti und Roma, Autos, Denkmäler, Menschenschädel. Osmanische Erinnerungen.Ćevapčići.
Eine Süßigkeit namens Indianer.
Bunte Blumen. Tränen. W-LAN-Suche.Kostenloser Nahverkehr in Belgrad und Niš,
blaue Busse in Novi Sad.
Bruchbuden, kyrillische Buchstaben,
sozialistische Artefakte.Ein Land zwischen Erinnerung und Aufbruch.
Zwischen Vergangenheit und Bewegung.Serbien im Oktober – so bleibt es mir.


Serbien war keine Notlösung, keine Verlegenheitsentscheidung, aber eben auch nicht meine erste Wahl. Doch das war nicht schlimm. Manche Dinge im Leben sind nicht die erste Wahl und erweisen sich später als ziemlich gut. Im Oktober dieses Jahres 2025 flog ich nach Serbien und fuhr einmal quer durchs Land. 2019 war ich schon einmal in Belgrad gewesen. Vor der Reise las ich meinen alten Bericht und sah mir die Fotos an. Was soll ich sagen? Ich erinnerte mich an erstaunlich wenig. Als ich am Flughafen in Belgrad ankam, hatte ich das Gefühl, zum ersten Mal da zu sein. Dieses Gefühl begleitete mich auch in den nächsten Tagen. Nur eines erkannte ich wieder: das Hotel Moskau. Ich erinnerte mich daran, dass ich während des letzten Aufenthalts dort Kaffee getrunken hatte. Damals war es draußen noch sommerlich warm gewesen. Dieser Tage regnete es fast den ganzen Tag. Nur ab und zu kam kurz die Sonne hervor, und es war kühl. Die Stühle vor dem Café des Hotels Moskau standen leer, alle Damen und Herren saßen drinnen. Kein Beobachten beim Flanieren. Dieses Mal.
Ich flog an einem Sonntag von Berlin nach Belgrad. Ich schwöre: nie wieder. Nie wieder würde ich einen Flug buchen, der an einem Sonntag von Berlin startet, wenn ich zuvor noch von Leipzig anreisen muss. Die Deutsche Bahn, nicht nur mein persönlicher Endgegner mittlerweile, sondern vermutlich das meistgehasste Unternehmen Deutschlands, versagte wieder einmal komplett. Nichts funktionierte. Hatte ich doch extra eine frühe Verbindung gewählt. Dennoch musste ich Angst haben, meinen Flug zu verpassen. Ich haderte ohnehin ein wenig mit der Reise, nicht wegen Serbien, sondern aus anderen Gründen. Als es dann so aussah, als würde ich den Flug verpassen, dachte ich nur: „Liebes Schicksal, das ist jetzt deine Prüfung.“ Am Ende bekam ich den Flug, trotz Stress. Noch am Terminal, kurz vor dem Boarding, aß ich eine Currywurst. Da war mir alles egal. Der Flug hatte ohnehin auch noch eine halbe Stunde Verspätung. Der Treppenwitz meiner Fluggeschichte.
Die Reise mit der Deutschen Bahn von Leipzig nach Berlin dauerte mehr als doppelt so lang wie der knapp zweistündige Flug nach Belgrad. Meine Sitzreihe im Flugzeug war komplett leer; nach dem ganzen Stress wurde der Flug also wenigstens richtig angenehm. Nur eines war später mühsam: Wenn man am Nikola-Tesla-Flughafen in Belgrad ankommt, muss man ewig laufen, um da auch wieder herauszukommen. Ein Flughafen des langen Weges. Als ich schließlich am Gepäckband ankam, drehte mein Koffer bereits seine Runden.
Draußen wartete schon eine Traube Menschen auf den Bus Richtung Zentrum. In Belgrad ist der öffentliche Nahverkehr seit Anfang 2025 für alle kostenlos. Einfach einsteigen, ohne Ticket. Losfahren. Kein teures Taxi nötig. Ich musste 27 Stationen mit dem ersten Bus zurücklegen, verlor schnell den Überblick. Natürlich hatte ich auch wieder keine Internetverbindung auf dem Handy. Also beschäftigte ich kurzerhand den ganzen Bus damit, mir zu sagen, wo ich aussteigen musste. Eine sehr lustige Busgesellschaft war das, alle kümmerten sich um mich. Einmal musste ich umsteigen, irgendwo im Dunkeln, im Regen. Es fühlte sich kurz nach „Walachei“ an, war es aber wohl nicht wirklich. Ich bat eine Frau, mir doch noch ein Taxi zu rufen, weil der Anschlussbus erst in 30 Minuten fuhr. Sie sagte mir, ich solle auf den Bus warten, denn Balkan-Taxis in der Nacht seien teuer. Meine erste Herberge war, sagen wir, im „balkanischen Schick“. Ich hatte ein Einzelzimmer und meine Ruhe. Drei Kätzchen waren meine Mitbewohnerinnen.
An meinem ersten Belgrad-Tag fand ich schwer in meinen fotografischen Rhythmus. Dann entdeckte ich im Zentrum eine Ausstellung mit Werken von Dürer, Goya und anderen aus dem Prado in Madrid. Die Kunst inspirierte mich. Trotz Regen und Kühle war ich nun angeknipst. Später aß ich mich durch die Stadt. Alles war noch angenehm günstig. Ich lief, beobachtete, sprach mit ein paar Leuten und fotografierte. Ich traf zwei Roma-Mädchen, zehn und fünfzehn Jahre alt, beide mit Zigaretten in der Hand, die versuchten, mir erst meinen Ring abzuschwatzen und dann Geld einzufordern für das Fotografieren. Gab ich ihnen ein paar Euromünzen. Da waren sie zufrieden. Alles in allem war es kein großartiger erster Tag. Ich hatte nicht das Gefühl, am coolsten Ort der Welt zu sein, aber ich machte ein paar anständige Fotos. Luft nach oben gab es genug.












































In Belgrad wird an jeder Ecke gebaut. Die „Belgrade Waterfront“ (Mini-Dubai in Belgrad) ist das große Vorzeigeprojekt der Stadt und des Landes. Luxus auch im verarmten Balkanstaat, bitte. Die Bauarbeiten begannen 2015, der Investor stammt aus Abu Dhabi. Das Stadtviertel direkt am Fluss Save, auf einer Fläche von 177 Hektar, soll einmal die größte Shoppingmall des Balkans werden. Für Premier Aleksandar Vučić ist es ein Prestigeobjekt, Belgrad soll damit wirtschaftlich aufblühen. Die Menschen des Landes kritisieren mittlerweile auch dieses Bauprojekt. Überall Korruption und Politiker, die sich die Taschen vollmachen. Die Demonstrationen begannen vor rund einem Jahr im November 2024, nachdem das Bahnhofsdach von Novi Sad (gerade neu gebaut) einstürzte und 16 Menschen unter sich begrub.
Für den ersten Teil meines zweiten Tages hatte ich mir vorgenommen, ein Zugticket nach Novi Sad zu kaufen. Das klang einfacher, als es war. Der Weg zum Hauptbahnhof gestaltete sich etwas schwierig, da es seit 2018 keinen innerstädtischen Hauptbahnhof mehr gibt. Das schöne alte Gebäude wurde stillgelegt zugunsten der Waterfront. Stattdessen gibt es nun einen neuen Bahnhof aus Stahlträgern, etwas außerhalb der Stadt. Um dorthin zu gelangen, musste man entweder eine verwirrende Busverbindung nehmen oder die sogenannte serbische „Metro“. Jemand hatte mir erzählt, dass es sie gebe, doch eigentlich war das keine echte Metro. Die Züge wirkten wie alte Vorortbahnen, komplett besprüht, mit Fahrplänen, die niemand so recht verstand. So brauchte ich fast drei Stunden, bis ich endlich am Bahnhof war. Immer kam etwas dazwischen: erst ein Markt, dann ein aufgebocktes Flugzeug, das ich unbedingt fotografieren wollte, schließlich noch ein Eis.
Der Bahnhof selbst wirkte eigenartig leer. Wenn man bedenkt, dass Belgrad ungefähr doppelt so groß ist wie Leipzig, hätte ich dort mehr Betrieb erwartet. Stattdessen war fast nichts los. Es fühlte sich seltsam an, ruhig, verlassen, wie ein Ort, der auf etwas wartete. Der Zug schien hier jedenfalls nicht das bevorzugte Verkehrsmittel zu sein, aber das war auf dem Balkan ja nichts Neues.
Nachdem ich das Ticket gekauft und am Bahnhof etwas gegessen hatte, fuhr ich mit dem Bus nach Novi Beograd (Neu-Belgrad). Der Name klingt nach Moderne, ein Meer aus Wohnblöcken aus Beton, Brutalismus-Moderne. Der Grundstein für den neuen Stadtteil wurde 1948 gelegt. Errichtet wurde er nach den architektonischen Ideen von Le Corbusier; die Erbauer waren jugoslawische Arbeitsbrigaden. Das Grundmuster bilden Blöcke mit Seitenlängen von jeweils 400 Metern. Die Wohnblöcke besitzen alle eine Schule, einen Kindergarten, ein Sportplatz. Natürlich auch Märkte und Einkaufsmöglichkeiten.
Ich wollte mir einen ersten Eindruck der sogenannten „Bloks“ gönnen, dieser riesigen, nummerierten Wohnblocks. Block 30, Block 44, Block 58. Sogar Buslinien und Haltestellen tragen den Namen „Blok“. Also fuhr ich einfach mit verschiedenen Bussen umher und schaute mir alles an. Zum Fotografieren würde ich später wiederkommen. Den Genex-Turm, an ihn konnte ich mich erinnern, hatte ich bereits beim letzten Besuch der Stadt fotografiert.
Am Abend war ich wieder im Hostel. Dort redete ich lange mit einem russischen Mitbewohner aus Moskau. Das Gespräch war bedrückend. Er erzählte, dass Russlands Kriegskassen für drei bis fünf Jahre gefüllt seien. Das machte mir Angst. Wir sprachen auch über Propaganda, auf allen Seiten, wie er meinte. Viele Russen lebten inzwischen in Belgrad oder generell in Serbien. Für die einheimische Bevölkerung sei das ein echtes Problem, weil die Mieten dadurch enorm gestiegen seien. Auch die Inflation sei heftig. Die Lebensmittelpreise unterschieden sich kaum von denen in Deutschland, während die Gehälter natürlich ganz andere waren, etwa 400 bis 500 Euro.
Ein kurzer, aber intensiver Tag. Einer, der viele Eindrücke hinterließ, von einer Stadt im Umbruch, zwischen Baukränen und Bloks. Heute und gestern. Das Morgen liegt noch im Ungewissen.





















Der dritte Tag in Belgrad war zugleich mein Abreisetag. Richtung Novi Sad. Am Vortag war ich bereits am neuen Bahnhof gewesen. Der alte Hauptbahnhof hatte dem Prestigeprojekt „Waterfront“ weichen müssen, und nun gab es diesen neuen „Center Bahnhof“ – ein modernes, aber etwas seelenloses Gebäude, außerhalb des Zentrums. Am Tag zuvor war es dort fast leer gewesen. Ich hatte mir schon mein Ticket gekauft die Bahnsteige begutachtet, sie waren menschenleer. Der Bahnhof wirkte wie ein Geisterbahnhof.
An meinem Abreisetag sah das ganz anders aus. Als ich ankam, war der Bahnhof plötzlich voller Leben. Vor allem ältere Menschen standen an den Ticketschaltern. Zum Glück hatte ich meines bereits und musste mich nicht anstellen. Ich traf zwei deutsche Schwestern mit bosnischen Wurzeln, die ebenfalls nach Novi Sad fuhren. Sie wollten ihren kranken Bruder besuchen und pflegen. Wir unterhielten uns eine Weile, bis der Zug kam.






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