Antje Kröger | Fotokünstlerin

Antwerpen (Mai 2018)

Posted by on Okt 25 2018, in Mensch, Welt

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„Ich habe einmal einen Film gesehen, der in Antwerpen spielt und von den dort lebenden Juden erzählt. Der Streifen basiert auf einem Roman mit dem Titel „Zwei Koffer voll“ von Carl Friedman. Es geht um die Shoah, es wird gezeigt, wie die Juden in der Zeit des Dritten Reichs aus Antwerpen deportiert werden, in Konzentrationslager kommen und
die Überlebenden schließlich in die Stadt zurückkehren, um ihre Habseligkeiten zu suchen. Viele Juden versteckten oder vergruben vor ihrer Deportation die wichtigsten Dinge ihres persönlichen Besitzes irgendwo, unter anderem auch in Stadtparks, das genau wird im Film und Buch erzählt. Weiterhin geht es um jüdische Traditionen.
Man sieht unter anderem eine jüdische Beerdigung, bei der es Brauch ist, von der Kleidung der Witwe/dem Witwer einen kleinen Stofffetzen abzureißen, anstatt „Herzliches Beileid!“ zu wünschen. Das hat mich fasziniert. Deshalb beschloss ich, schon vor vielen Jahren, einmal nach Antwerpen zu reisen, um mir dort die orthodox lebenden Juden „anzuschauen“.
Im Gegensatz zu New York, wo ich zum ersten Mal orthodoxe Juden aus der Ferne antraf, konnte ich sie in Antwerpen während ihres alltäglichen Lebens beobachten, wie sie beispielsweise vor ihren Schmuckgeschäften stehen und philosophieren und Geschäfte machen. Leider habe ich damals, ich muss so Anfang zwanzig gewesen sein, wenige Fotos gemacht. Ich kann mich aber noch genau daran erinnern, wie ich wie ein kleines Mädchen im Zoo dastand und den jüdischen Bewohnern Antwerpens beim Sein zuschaute. Dies war auch der Grund, warum ich unbedingt, fünfzehn Jahre später, zurückkehren musste. Ich wollte schauen, erfahren, ob und wie sich mein Blick verändert hat, nachdem ich mich weitaus mehr mit dem Judentum beschäftigt hatte und inzwischen auch in Israel gewesen war. Seltsamerweise fühlte ich mich abermals wie ein kleines Kind zu Weihnachten. Sobald orthodoxe Juden in größeren Gruppen auftreten,
zieht mich das Magische, geradezu Übergeordnete wie eine andere Wesenheit in seinen Bann. Ich kann sie in diesen Momenten gar nicht mehr als normale Menschen wahrnehmen, weil sie so etwas Hohes, Geweihtes, Religiöses mit sich tragen. Ein heftiges Gefühl von Ehrfurcht beschleicht mich jedes Mal bei diesem Anblick.“

Auszug aus Trümmer, ein Bilderbuch von Antje Kröger und Daniel Noack

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Antwerpen (Mai 2018)

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Antwerpen (Mai 2018)

Im Mai reise ich zum zweiten Mal in meinem Leben nach Antwerpen, für ein paar Tage. Ich fahre mit dem Zug von Leipzig über Brüssel, weil ich partout nicht mehr fliegen will in diesem Jahr. Antwerpen, nun flämisch/belgisch, war in seiner Geschichte schon spanisch/portugiesisch, österreichisch/niederländisch, französisch (Waterloo ist nah).

Die Straßenbahn fährt unterirdisch in der belgischen Stadt, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Es dauert also eine Weile bis ich endlich in meinem Hostel bin. Ein Bett im Sechser-Zimmer kostet in Antwerpen das Vierfache von einem ähnlichen Bett in Osteuropa. Dafür gibt es Hühner im Hinterhof und jeden Morgen ein üppiges Frühstück. Alle im Hostel sind korrekt, leise und höflich. Das habe ich so lange nicht erlebt, ich überlege mir kurz, ob mir hier das Abenteuer fehlen könnte, die Aufregung, ich glaube, JA!

Am nächsten Morgen laufe ich los, Richtung Historisches Zentrum. Ich streife das Diamant-Viertel, begegne einer Menge orthodoxer Juden. Antwerpen hat 500.000 Einwohner, 20.000 davon sind jüdisch. Ich sehe vor einer Schule einen jüdischen Auflauf, ganz viele Kinder, die vor dem Gebäude stehen, einen Rabbi, der mit der Polizei spricht,  Feuerwehrmänner – von der alten Fassade einer Schule sind Teile abgebrochen und auf den Bordstein gefallen. Ich fotografiere. Der Polizist spricht mich an, ich muss meinen Pass zeigen und werde belehrt, dass ich die Fotos nirgendwo posten dürfe. Ich zeige mich uneinsichtig, dann nimmt der akribische Beamte meine Personalien auf, vor seinen Augen muss ich ein paar meiner Fotos löschen. Zwei, drei entferne ich von meiner Kamera, dann entferne auch ich mich … von diesem Ort.

Antwerpen ist teuer. Viele Touristen sind nicht unterwegs. Dafür viele Autos, viele Jogger, viele Fahrradfahrer. So viele Pommesbuden wie ich mir vorgestellt hatte, gibt es dafür gar nicht. Aber ich finde eine besonders gute und schlage mir den Bauch voll. Danach schlendere ich über den Flohmarkt. Die Stadt wirkt konservativ, altbacken, die Supermärkte schließen um 20 Uhr, die Straßen sind am Abend leer.

Antwerpen ist eine „Hipsterstadt“, überall Design und viele Dinge, die man wirklich nicht braucht. Aber die Menschen sind wunderbar bunt und außergewöhnlich angezogen, das schaue ich mir gerne an.

Ich spaziere durch die Stadt, der Wolken-Vorhang zieht sich auf und zu. Ich laufe zum Fluss. Neben mir auf der Bank sitzen zwei Mädchen, mindestens eine von ihnen ist Türkin. Sie spielt ein osmanisches Instrument, das einer Gitarre ähnelt, das andere Mädchen filmt sie beim Musizieren. Sehr schön anzusehen diese Situation. Ich lausche den Klängen und schaue den Fähren zu, wie sie die Menschen von einer Flussseite zur anderen bringen …

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Antwerpen (Mai 2018)

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Am nächsten Tag mache ich mich auf den Weg zum Friedhof von Antwerpen. Das ganze Areal gleicht eher einem Park als den üblichen Friedhöfen, wie ich sie kenne. Die Menschen nutzen den Platz gerne, um einen Plausch zu halten oder um ihre Hunde auszuführen. Ich laufe und ich laufe und bin am Ende vor allem vom Kinderfriedhof beeindruckt. Weiße Blumen unterstreichen die Tragik des Platzes. Besonderen Spaß machen mir die Tiere an diesem Morgen. Enten quaken über die Wege, Gänse schauen mir in die Augen, große Hunde erregen mein Aufsehen!

Trotz der vielen Fahrräder gibt es eine Menge nervige Autos in Antwerpen, die Stadt ist oft verstopft von ihnen, die Fahrradfahrer navigieren sich vorbei und dazwischen hindurch. Übrigens tragen sie selten Helme. Vielleicht ist dies typisch deutsch?

Ich fahre Richtung Bahnhof, mag auf fotografische Reise durch das jüdische Viertel gehen. Wie eh und je bin ich fasziniert und abgeschreckt zugleich von der homogenen jüdischen Masse. Das geschlossene System ihrer Lebensweise lässt nicht viel Raum für Toleranz und Schritte nach vorn. Außerdem weiß ich, dass sie nicht gerne fotografiert werden.

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In Antwerpen leben heute ungefähr 20.000 Juden, vor allem in den Vierteln rund um den Bahnhof. Die Hälfte gehört der orthodoxen Gemeinschaft an. Das Leben für sie ist wieder rauer geworden in den letzten Jahren. Terror-Anschläge, Intoleranz der Nicht-Jüdischen-Bevölkerung, Pegida Flandern – stark bewaffnete Polizei patrouilliert in den jüdischen Vierteln, steht vor Schulen und Synagogen.

Die ersten Juden in Antwerpen gab es im frühen Mittelalter, sie waren Händler. Dann fanden die erste Pogrome (Black Death) im 12. Jahrhundert statt. Ende des 16. Jahrhunderts flohen Juden vor der spanischen und portugiesischen Inquisition nach Antwerpen. Die Hafenstadt war groß genug und calvinistisch. Ende des 19. Jahrhunderts kamen Juden aus Osteuropa dazu. Sie siedelten hinter dem Hauptbahnhof, später vergrößerte sich ihr Einzugsgebiet bis zum Stadtpark. Antwerpen wurde durch sie zum Weltzentrum des Diamanthandels. 1913 lebten in der Stadt 13.000 Juden, die Zahl vergrößerte sich in den kommenden Jahren auf 50.000 wegen der Flucht von jüdischer Bevölkerung aus Nazi-Deutschland. Zwischen September 1942 und Juli 1944 wurden insgesamt 25.000 Juden aus Belgien in Konzentrationslager deportiert. Nur 1244 kamen zurück.

Nach dem 2. Weltkrieg siedelt eine Großzahl chassidische Juden aus Zentral- und Mitteleuropa nach Antwerpen über, sie kamen, um das Diamantgeschäft wieder anzukurbeln. Für sie war und ist die belgische Stadt ihr „Schtetl an der Schelde“.

Der steigende Antisemitismus dieser Tage wird allerdings wieder zur Bedrohung. Außerdem verlieren die Juden Stück für Stück die Hoheit über das Diamantgeschäft. Die „billigen“ Inder übernehmen die Führung. Bis vor ein paar Jahren arbeiteten 90 Prozent der Antwerpener Juden im Diamantgeschäft. Mittlerweile müssen sie sich nach neuen Jobs umschauen. Armut bedroht nicht wenige von ihnen.

Dennoch funktioniert die Koexistenz von Juden und Nichtjuden. Die Orthodoxen leben ihr geschlossenes Leben mit all den strengen Regeln mitten in einer Gesellschaft, die sich sehr verändert.

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Ein weiterer Grund für mich, wieder nach Antwerpen zu kommen, ist der Maler Rubens. Sein Haus, das Rubenshaus. Ich erinnere mich nur noch dunkel an meinen ersten Besuch, weiß aber immerhin, dass es mich schon mit Anfang 20 beeindruckte.

Wie überall in Antwerpen wird auch hier gebaut, vor allem im rubensschen Garten. Das tut dem Genuss jedoch keinen Abbruch. Dieses wunderbare ROT überall und das Flair einer anderen Epoche, das Gefühl, das man in „normalen Ausstellungen“ eben nicht hat …

Eines Tages werde ich wiederkommen nach Antwerpen, ich mag vorher aber all die anderen belgischen Städte drumherum anschauen … Gent, Brügge usw.

Ein Abenteuer war die Stadt in jedem Fall, wenn auch ein leiseres als viele meiner anderen Reisen.

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